■ Jahrmarkt der Illusionen
: „Ständische Freiheit“

Wenn anarchistische Projekte, anarchistische Läden, antinationale Gruppen und libertäre Foren zu einem „Libertären Jahrmarkt“ aller AnarchistInnen einladen, liegen die hämischen Kommentare schon gratis bereit. „Anarchie ist gut – aber nur mit einem starken Anarchen“. Das sind so Gauweiler-Sprüche, passend in die Zitatenrubrik des stern, mehr nicht. Und nichts leichter als der Gang zum Senefelder Platz, um mit spitzen Bemerkungen und spöttischem Blick solch einen Jahrmarkt abzukanzeln. Doch die Leute, die da mit ihren Hunden waren, waren freundlich und guter Dinge – mehr als für ein deutsches Kollektiv (und auch die Deutschlandhasser selbst sind sehr deutsch) eigentlich selbstverständlich ist.

Libertär heißt (nach dem großdeutschen Duden des Jahres 1991) „ständische Freiheit“, versehen mit dem Adjektiv „früher“. Nun, die jeweiligen Marktstände zeigten am Samstag jedenfalls sehr frei und gesinnungsstark, was man bei ihnen (Igittigitt!) kaufen konnte: Musikkassetten mit der Botschaft „Love music – hate Fascism“ auf dem Cover, mit Pflastersteinen vor dem Wegfliegen bewahrte Info- Blättchen, „Deutschland verrecke“-T-Shirts und anderes nettes Kleingut für den anarchistischen Hausgebrauch. Bücher, auch in der Ausstattung bewußt in altertümlicher Form gehalten: Erich Mühsam, Emma Goldmann, Fürst Kropotkin, Lebenserinnerung alter AnarchistInnen, Zeugnisse von Stalins Terror – und kein SED/ PDS-Propagandamaterial weit und breit. Von Nazis und Kommunisten gleichermaßen verfolgt und bis heute nichts richtig kapiert – darf man so forsch urteilen? Ihre Kreise aber haben zumindest einen Vorteil: man wird für diese Thesen wohl kaum verprügelt werden. Traurige Idealistengestalten, hochherzige Maximalisten, die höchstens bedauern, daß sich wieder einer von der Bourgeoisie hat kaufen lassen und nun von „Schadensbegrenzung und Effektivität der Mittel“ so prosaisch spricht, anstatt noch ein Bier zu zischen und eins-zwo-drei, mitzuschunkeln: „Spandau wird instand besetzt, instand besetzt, instand besetzt“.

An der „Bakunin-Bude“ darf man für fünfzig Pfennig dreimal Ball auf die Papprepräsentanten des Systems werfen. Was gewinnt man dabei? Das richtige Bewußtsein? „Lust an der Zerstörung ist eine produktive Lust“ hat man auf die Bude gepinselt, und ich stelle mir vor, wie unter diesem Motto die Skins einfallen und alles kaputttreten. Keinen Fußbreit den Faschisten, dieser Kuß der ganzen Welt. Liebe Leute, Ihr könnt mich mal. Eure unrasierten Gute- Menschen-Gesichter in ihrer ungeheuren Naivität machen mir Angst. Wie wäre es – zur Abwechslung – mal mit libertinär? Dazu läßt es sich dann aber nicht mehr so gut skandieren. Bleibt mir gestohlen. Und ein schönes Fest weiterhin wünsch' ich Euch trotzdem, comrades. Gute Nacht. Marko Martin