Tiergarten-Tunnel sind völlig unnötig

■ Darmstädter Architektenbüro: Bei Zentralbahnhof und Straßenring sind Einsparungen in Milliardenhöhe möglich

Die Verkehrsplanung im zentralen Bereich wird wieder zum Thema: Ein Darmstädter Büro aus Architekten und Verkehrsplanern hat ein alternatives Konzept „Zentrum Berlin“ ausgearbeitet, mit dem Einsparungen in Milliarden- Höhe möglich sind. Außerdem könnten der Lehrter Umsteigebahnhof, der innere Stadtstraßenring sowie der Bau des Regierungsviertels im Spreebogen „um Jahre schneller“ verwirklicht werden, weil auf den Eisenbahn- und umstrittenen Straßentunnel unter dem Tiergarten ersatzlos verzichtet werden könne, heißt es in dem Gutachten, das der taz vorliegt.

Die Idee der vier Ingenieure Reinhold Beer, Ralf Matthaei, Gerhard Wallner und Rainer Otto ist in ihrer Einfachheit bestechend. Die heutige Entlastungsstraße bräuchte nicht durch den geplanten Straßentunnel ersetzt werden, wenn man den Verkehr auf die wenige hundert Meter weiter westlich vorhandene Achse Hofjägerallee, Großer Stern und Paul Straße verlagere. Der innere Stadtstraßenring, der die Bezirke Mitte, Prenzl'berg, Friedrichshain und Kreuzberg miteinander verbinden soll, würde länger. Vorteil sei, daß zum einen die Kosten von etwa einer Milliarde Mark für den Tunnel entfielen und zum anderen die Eingriffe in den Tiergarten minimiert würden.

Auch das am Lehrter Bahnhof geplante Eisenbahnkreuz und der damit verbundene Fernbahntunnel seien aus verkehrspolitischer Sicht völlig unnötig, heißt es in dem Konzept weiter. Die dahintersteckende Idee, daß Bahnreisende mitten in der Stadt vom Ost-West- auf den Nord-Süd-Verkehr umsteigen können, sei auch ohne Kreuz an derselben Stelle realisierbar. Bei dem von den Darmstädtern bezeichneten „Gabelkonzept“ würde der Eisenbahnverkehr auf bereits heute vorhandenen Gleisen geführt. Statt eines Eisenbahntunnels unter dem Tiergarten genüge es, würden die Strecken Berlin–Magdeburg und Berlin–Leipzig südlich der Hauptstadt miteinander verbunden. „Die Kosten für dieses Verbindungsstück wären deutlich geringer als für einen Tunnel“, erläuterte Beer der taz.

Auch der Lehrter Umsteigebahnhof würde erheblich günstiger werden, da ohne Kreuz die Züge nicht in verschiedenen Etagen, sondern nebeneinander halten können. Der Bahnhof brauche nur oberirdisch gebaut werden, wäre dadurch für Bahnreisende übersichtlicher und auch aus stadtplanerischer Sicht zu begrüßen. Außerdem könnte mit dem Bau des Regierungsviertels „unmittelbar“ begonnen werden, weil durch den Wegfall der Eisenbahn- und Straßentunnel nur noch die beiden sehr viel kleineren U- und S-Bahntunnel unter dem Regierungsviertel gebaut werden müßten. Das Verkehrskonzept „Zentrum Berlin“ haben die vier Darmstädter Ingenieure in den vergangenen Wochen an den Regierenden Bürgermeister, verschiedene Senatoren, die Präsidentin des Bundestags, an die Bundesbauministerin, den Finanzminister, die Deutschen Bahnen, an Bonner und Berliner Politiker sowie Umwelt- und Verkehrsinitiativen geschickt.

Wie ernst Bundesregierung, Senat und die Bahn den Darmstädter Vorschlag nehmen, ist zur Zeit nicht abzusehen. Laut Beer habe bisher nur das Bundeskanzleramt auf den Darmstädter Vorschlag reagiert – ohne jedoch eine bewertende Stellungnahme abzugeben. Auch wenn die Planungen zum Achsenkreuz sehr weit fortgeschritten sind, müssen möglicherweise Bund, Senat und Bahn von den bisherigen Verkehrsplanungen im zentralen Bereich Abstand nehmen. Denn in den vergangenen Wochen deutete sich bereits an, daß weder für den Bau der Tunnel unter dem Tiergarten noch des unterirdischen Lehrter Umsteigebahnhofs genügend Geld vorhanden ist. Dirk Wildt