„Denen in Bonn sind wir scheißegal“

Ende des Jahres soll das letzte ostdeutsche Kali-Werk geschlossen werden / Kumpel aus der ganzen Republik setzen sich für den Erhalt ein, doch die Zukunft sieht düster aus  ■ Aus Bischofferode Marita Vollborn

Aneinandergereiht wie die Perlen einer Kette sitzen sie in 560 Meter Tiefe um einen langgestreckten Tisch und atmen die heiße, dieselgetränkte Luft. Einige von ihnen schütteln den Kopf und schlucken heftig, andere starren mit blicklosen Augen vor sich hin, die Lippen fest zusammengepreßt. Kein Wort fällt. Die Frauen der Bischofferoder Kumpel haben gerade die Hiobsbotschaft aus dem Finanzministerium erhalten: Der Fusionsvertrag zwischen der Kali und Salz AG Kassel und der Mitteldeutschen Kali AG Sondershausen ist unterschrieben, das Kaliwerk Bischofferode soll Ende des Jahres geschlossen werden.

„Es ist nicht zu fassen“, bricht Renate Koch das Schweigen. Die 47jährige Telefonistin, die selbst 22 Jahre im Werk gearbeitet hat und im letzten Jahr entlassen wurde, fährt täglich mit 20 anderen Frauen in den Schacht ein, 12 Stunden lang besetzen sie gemeinsam die Grube. „Es kann doch nicht alles umsonst gewesen sein“, murmelt eine jüngere Frau, beugt sich vor und stützt den Kopf auf die Hände, „das gibt's doch gar nicht!“

Als das Telefon klingelt, erstirbt jeder Laut. „Wir sollen hochkommen, um alles weitere zu besprechen“, gibt Renate Koch bekannt. Die Frauen stehen auf, rücken bedächtig ihre Stühle zurück und reden so leise miteinander, als störten sie die Melancholie einer Beerdigung. Erst auf dem Weg durch die finsteren, stickigen Gänge, an deren Wänden dickverstaubte Kabelstränge verlaufen, lockert sich die bedrückte Stimmung. Über Tage angekommen, werden sie von zwei Bergmännern empfangen. „Denen in Bonn sind wir doch scheißegal“, schimpft der eine, „aber wir lassen uns nicht unterkriegen, auch wenn wir dabei kaputtgehen. Wir haben nichts mehr zu verlieren.“

Die Hoffnung, daß das Kaliwerk Bischofferode aus dem Fusionsvertrag herausgelöst und einzeln privatisiert wird, schmiedet seit Monaten die Kumpel und ihre Angehörigen zusammen. Mehr als 13 Wochen Werksbesetzung bei laufender Produktion liegen hinter ihnen, seit 12 Tagen verweigern 42 Bergleute die Nahrung, protestieren 21 Frauen unter Tage. Am Samstag machten sich Betriebsräte aus der gesamten Republik für den Erhalt des Kali-Werkes stark. Und selbst Vertreter des schon offiziell geschlossenen Berliner Schiller Theaters und des Stahlwerks Rheinhausen kamen zum Aktionstag nach Bischofferode, um die Bergleute in ihrem Kampf zu unterstützen. Doch weder die Aktionen der 700köpfigen Belegschaft des Bergwerkes oder die Sympathiebekundungen vom Wochenende, von Gemeinde- und Stadträten, Bürgermeister und Pastoren der Region, noch das Veto des Thüringer Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) konnten die Treuhandanstalt und das Bonner Finanzministerium zum Einlenken bewegen.

Im Gegenteil: Am 23. April stimmte der Treuhandverwaltungsrat in Düsseldorf der Zusammenlegung der BASF-Tochter Kali und Salz Kassel und der Mitteldeutschen Kali AG Sondershausen zu, am 1. Juli billigte der Treuhandausschuß des Bundestages den Vertrag, und am 6. Juli genehmigte schließlich auch das Bonner Finanzministerium die umstrittene Fusion. Geführt werden soll das gemeinsame Unternehmen zu 49 Prozent von der Treuhand und zu 51 Prozent von der Kali und Salz AG Kassel. „Das ist ein abgekartetes Spiel zwischen Treuhand, Kali und Salz und Regierung“ sagt dazu der westfälische Unternehmer Johannes Peine, der das Kaliwerk Bischofferode übernehmen und 536 Arbeitsplätze sichern will. „Mein Konzept ist in sich schlüssig, das bestätigte mir sogar Herr Sieckmann von der Treuarbeit in Düsseldorf.“

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuarbeit war es allerdings auch, die dem Eichsfelder Kaliwerk „Unwirtschaftlichkeit“ und „bergtechnische Unsicherheiten“ bescheinigte und mit den Ergebnissen ihrer Untersuchung die Entscheidung des Finanzministeriums herbeiführte. Auf die Widersprüchlichkeit der Aussagen angesprochen, hieß es: „Wir sind kein Auskunftsbüro!“ – niemand aus der Institution war zu einer Stellungnahme bereit. „Bergtechnische Unsicherheiten, was für ein Blödsinn!“ ärgert sich dagegen Gruppenbetriebsführer Günter Henkel. „Es gibt hier keine größeren Probleme als in anderen Bergwerken auch. Schließlich fördern wir nicht erst seit gestern Salz.“

Das Bischofferoder Salz ist im Norden und Westen Europas heißbegehrt. Schon zu sozialistischer Zeit importierten Skandinavien, Holland und Belgien, Österreich und Frankreich Tonnen des qualitativ hochwertigen Salzes in ihr Heimatland, um daraus Kaliumsulfatdüngemittel herzustellen. „Kali und Salz fürchtet um seinen Marktanteil“ vermutet Johannes Peine, „denn auch Kali und Salz produziert Kaliumsulfatdüngemittel. Die BASF-Tochter weiß genau, daß die nord- und westeuropäischen Kunden auf Bischofferode angewiesen sind.“

Die 21 Frauen, unterdessen von ihrer Beratung zurückgekehrt, haben eine Resolution an die Importeure verfaßt mit der Bitte, sie im Kampf um Bischofferode zu unterstützen. Ob sie Erfolg haben werden, bleibt zweifelhaft. Brigitte Sommerfeld wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. „Die von der Treuhand gehören alle eingesperrt“, sagt sie leise. Auch der Nordhäuser Landtagsabgeordnete Egon Primas (CDU) zeigte wenig Verständnis für die Aktivitäten der Treuhandanstalt. Er erstattete wegen des Verdachts auf Untreue im Zusammenhang mit der Fusion gegen Treuhandvorstand Klaus Schucht Anzeige. „Dem Steuerzahler werden zwei Milliarden Mark aufgebürdet“, erklärte er. „Die Treuhand ist ihrer Privatisierungsverantwortung nicht gerecht geworden, sondern saniert mit Steuergeldern einen Westkonzern.“

Kali und Salz Kassel wird mit der Schließung des letzten von ehemals sechs ostdeutschen Kalibergwerken zweitgrößter Exporteur von Kaliprodukten sein: Zuvor stand die BASF-Tochter nach der Mitteldeutschen Kali AG Sondershausen an dritter Stelle. „Wenn Bischofferode auch noch schließt, können sie Thüringen zuschütten“, flüstert Willibald Nebe, dessen fahle Haut und ausgemergelten Gesichtszüge vom tagelangen Hungern zeugen. „Soll ich meine Familie vergiften, damit die Herren in Berlin und Bonn aufmerksam werden?!“ fügt er hinzu und greift nach einem Fenstersims, um sich abzustützen.