Was noch vor anderthalb Jahren als Phantasie eines durchgedrehten Spinners abgetan wurde — der Plan zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses —, heute steht es wieder da, im neuen alten Glanz: aus Plastik Aus Berlin Detlef Kuhlbrodt

Ein Falsifikat gibt Halt gegen den Schmerz

Gelb ist der Wahnwitz im Berliner Stadtbild: Mit dem gelben „Rolf“ hat die Post all ihre Dächer beflaggt, gelb werben selbst die Brötchentüten im Bezirk Kreuzberg für Olympia, gelb prunkt seit dem 1. Juli auch die 31 Meter hohe und 100 Meter breite Fassade der Stadtschloßsimulation in der alten Mitte der Hauptstadt. Etwa vier Millionen Mark hat die Installation aus 40 bemalten Kunststoffplanen gekostet, die unter anderem von der Olympia Bauunion, Thyssen, BMW, der Bayerischen Vereinsbank, Springers Welt, dem Berliner Tagesspiegel, der Schering AG und anderen gesponsert wurde. Am letzten Freitag wurde sie noch durch einen 40 m breiten und 25 m hohen Spiegel ergänzt, der die Fassade des vom Abriß bedrohten SED-Palastes des Republik verdeckt und das Schloß psychedelisch verzerrt und verlängert.

So gelb hat das Schloß zwar nie ausgesehen, doch die InitiatorInnen vom „Förderverein Berliner Stadtschloß“ fanden, daß eine positive Sonnenfarbe eher „zum Nachdenken zwingen“ könne als das Steingrau des verblichenen Originals. Ein „grauer Bunker“ wäre für die Wiederaufbauidee wenig werbewirksam gewesen, meint der Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien.

Der Stadtschloßvereinsvorsitzende – „von zielstrebiger, nüchterner Rhetorik und freundlichem Pragmatismus geadelt“, wie der Tagesspiegel weiß – ist nach eigenen Aussagen eher „der Motor, von den anderen kommen die Ideen“. Tatsächlich tritt von Boddien im Kampf für seinen „Traum“ recht martialisch auf: Zum „Nachdenken zwingen“ will er mit seiner Inszenierung, „wer nicht hören will, muß sehen“, frohlockt er. Wenn die Inszenierung nach 100 Tagen vorbei sei, würde der Berliner ein „Loch“ da spüren, wo es war und sich spätestens dann vom Schloßgegner zum Schloßbefürworter bekehren.

Mindestens alles steht auf dem Spiel: „Es gibt keine andere Möglichkeit, die Stadt als Stadt zu retten“, findet auch Wolf Jobst Siedler, Merian Berlin-Autor und einer der vehementesten Befürworter der Stadtschloßidee. Schließlich hätten die Bauten zwischen Alexander- und Marx-Engels-Platz, die Mitte der Mitte, ihren Halt im Stadtschloß gefunden. Alles und jedes wäre doch architektonisch aufs Stadtschloß zugelaufen. Nun falle alles in sich zusammen und auseinander. Nun klaffe ein Loch und ein Nichts. Andere europäische Metropolen wären früher dagewesen als ihr Schloß und seien auch ohne es denkbar. „Berlin aber war das alte Stadtschloß Unter den Linden, das eigentlich älter ist als die Stadt selbst“ – auch wenn es erst ab 1701, zu Beginn der Ära der Preußenkönige, unter den Architekten Andreas Schlüter und Eosander v. Göthe seine bekannte Postkartengestalt finden sollte.

Ohne Stadtschloß ist der Berliner seelenlos

Vom Portal IV des Stadtschlosses proklamierte Karl Liebknecht am Nachmittag des 9.November 1918 die sozialistische Republik. Im zweiten Weltkrieg wurde das Schloß weitgehend zerstört und 1950 trotz weltweiter Proteste vom finstren Walter Ulbricht weggesprengt, den dunkler Preußenhaß wohl trieb.

Seitdem ist, den Schloßaufbaukämpfern zufolge, Berlin ohne Mitte und Halt. Orientierungs- und identitätslos, als seelenloser Zombie torkelt der Berliner, der ohne sein Schloß eigentlich nicht einmal Berliner, sondern irgendein nomadisierender Irgendjemand ist, seither durch die Stadt und verläuft sich ständig. Dem möchte Wilhelm von Boddien ganz entschieden entgegentreten. Ein bißchen verlogen in seiner Argumentation will er mit dem Wiederaufbau auch den jungen Nazis wehren. „Unsere tragfähigsten Stützmauern“, erklärte er in seiner Ansprache anläßlich der Schloßeröffnung, lägen in der Kultur und der Geschichte. Und „ohne diese Besinnung auf diese werden wir wohl ein Volk ohne Zukunft sein. Die Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher, die sich dadurch extremen Gruppen von rechts bis links zuwenden, liegt häufig darin begründet, daß ihnen unsere Generation nur den Wettkampf um den materiellen Reichtum vorführt, statt ihnen zukunftsweisende Werte zu übermitteln.“

Seltsam kleinlaut die Proteste der Gegner

Für Wolf Jobst Siedler ist der Wiederaufbau „eine nationale Aufgabe“. „Man entscheidet Fragen dieser Art nicht mit dem Rechenschieber.“ Zeitgenössiche Architekten würden da ja leider versagen. „Nirgendwo ist es dieser Generation gelungen, die Mitte einer Stadt zu formen.“ „Nicht triumphierend, sondern resignierend“ also möchte der selbsternannte Melancholiker, der durchaus weiß, daß sich das Original nur als Falsifikat wiederherstellen läßt und der deshalb auch nur die Fassade mit modernem Innenraum- „Komplex“ haben will, „das Verlorene mit Abschiedsschmerz wiederherstellen“.

Irgendwie kommen einem da die Tränen, zumal sich das Stadtschloß allein aus Kostengründen wohl in die Reihe der Berliner Verlustunternehmen Hauptstadt und Olympia mit einreihen wird.

Seltsam kleinlaut in einer Stadt, deren frisch-frecher Hauptstadtjugendsender auch noch „Fritz“ heißt, nehmen sich die Proteste der Schloßgegner aus, die den „Wochenend-Renner“ (Berliner Morgenpost) meist „ganz gut“ finden, allerdings zu bedenken geben, daß es doch „total zynisch“ sei, in einer Stadt mit 20.000 Obdachlosen ein Schloß wiederaufzubauen. Devot meist lauschen Radiointerviewer den Ausführungen Wilhelm von Boddiens, der erklärt, daß die Schloßillusion nicht nur 100 Tage wie geplant, sondern am besten noch bis in den Winter dastehen solle. Danach sollen die Kunststoffplanen versteigert werden.

Ex-Schloßgegner Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) ist inzwischen „von dieser Privatinitiative begeistert. Falls wir nach fünf Wettbewerben kein passables Ergebnis für einen modernen Neubau gefunden haben, trete ich dem Förderverein bei und plädiere für den Wiederaufbau des Stadtschlosses.“ Naturgemäß ein paar jüngere Architekten, die selber ran wollen, die PDS, der SPD- Bauexperte Peter Conradi und die Jusos halten die Schloßattrappe für „großen Quatsch“. Mit dem ins Auge gefaßten Schloßaufbau mache sich Berlin auch im Ausland lächerlich. „Dort wird man sagen, die Deutschen sind wieder auf dem Weg zurück nach Preußen“ (Conradi). Die hübscheste Protestform wählten übrigens die Jusos. Auf ihren schwarz-weiß gehaltenen Plakaten steht in Fraktur nur: „Stadtschloß wiederaufbauen – Monarchie wieder einführen!“ Beflügelt davon hat jemand kleine Zettel auf die Plakate geklebt: „Gegen Staatsverdrossenheit eine volksverbundene vorbildliche = preußische Monarchie“.

Ein wenig denkt man dann: das arme Schloß

Back to the future: hinweg mit Nazi- und „SED-Diktatur“ – die ja ohnehin einerlei und gleich waren, wie ab 3. Oktober in der „Neuen Wache“ auf der gegenüberliegenden Seite der „Linden“ zu sehen sein wird. Da wird dann zusammen mit einer aufgeblasenen Käthe- Kollwitz-Figur (schicker als das Original) ganz unterschiedslos den Opfern der Gewaltherrschaften gedacht.

Wer nun allerdings schon grimmig die Hacken zusammenknallen möchte, sollte sich doch noch einmal die trotzig infantile, fast rührend irrsinnige Form der neuerlichen Berliner Identitätssucht anschauen. Die Gewaltarchitektur des kürzlich im Beisein des Kanzlers eingeweihten Doms kapituliert zur Zeit noch vor dem permanenten IKEA-Geruch im Innern und der gemalten Fassade des Stadtschlosses. Der Versuch, Identität ohne Erinnerung zu verordnen, wirkt irgendwie doch ein wenig mickrig, gar jämmerlich. Wie sich bei einem Schmalbrüstigen die Rippen unter der Haut abzeichnen, sticht das Gerüst unter den Planen hervor. Ein wenig denkt man dann: das arme Schloß.