Im Frühtau wird's herbe... Von Philippe André

Wir suchen Pilze. Fanatisch! Schon im Frühjahr geht es traditionell „in die Morcheln“, in Deutschland ein paradiesisch Unterfangen, werden die Köstlichkeiten von den Eingeborenen doch so gut wie nicht gesammelt. Mitte Julei holen wir dann gewöhnlich die erste Steinpilzernte ein. Von da ab sind wir immer häufiger im Wald, bis in den Winter hinein, der Nebelkappen und später im Jahr noch der leckeren violetten Ritterlinge wegen.

Durch mich wurde meine Gattin zur Radikalmykologin, unser Sohn zum erbarmungslosen Großpilzjäger. Denn von Jagd muß nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nunmehr in der Tat gesprochen werden. Schließlich sammelt man keine Tiere. Um solche aber handelt es sich, glaubt man den jüngsten Ergebnissen genetischer Analysen am Erbgut der Pilze (New Scientist).

Diese Erkenntnis wollte ich mir zunutze machen, um einen Sachverhalt zu klären, der mich schon eine ganze Weile nervte. Es war zweifellos ein großer Fehler gewesen, den beiden Stadtmenschen nicht nur mein umfangreiches theoretisches Wissen über die bizarre Welt der Pilze zu vermitteln, sondern auch meine geheimsten Plätze preiszugeben. Als wir Samstag morgen zu dritt im Frühtau den Wald betraten, machte ich natürlich noch einmal deutlich, wie wichtig es war, ihn zu ehren: „Man stürzt sich nicht direkt auf die Geheimplätze“, klärte ich auf, „sondern behält traditionell eine Route ein, genießt die kühle Frische und warme Farbenpracht des sommerlichen Waldes.“

Sie waren im Dickicht verschwunden, noch bevor sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Unglaublich diese Gier! Angewidert setzte ich meinen besonnenen Weg auf dem alten Pfad fort, eins mit der Natur, einem Indianer gleich, dem der hohe Wald aus gutem Grunde heilig ist.

Zu rennen begann ich erst, als ich das Schlagen einer Wagentüre vernahm, weiter oben, verdächtig nahe an einem meiner Lieblingsfelder. Zwar stellte sich alsbald heraus, daß ich mich geirrt hatte, aber die beiden waren schon voll im Dickicht des besagten Wäldchens, aus dem heraus es rege knackte und wischte, immer wieder unterbrochen von wichtigtuerischen „Ahhhs“ und „Booaahs“ des kleinen Adlerauges. Und ich wußte, meine Frau sprach nicht viel; sie räumte ab. Ich war verzweifelt, tauchte ein ins Wäldchen und fand nur grob abgehauene Stengel. „Junge“, kreischte ich panisch, „weißt du eigentlich, was du den Tieren mit dieser Quälerei antust?“ Mein gellender Schrei hallte wider wie der Blattschuß eines Oberförsters. Doch natürlich wartete ich nicht auf seinen gequälten Aufschrei, sondern folgte stumm und schnell der Spur der Verwüstung, die die beiden hinterlassen hatten. Als ich sie endlich stellen konnte, hatten sie ihr blut'ges Werk bereits vollbracht. Voller Stolz hielten sie mir ihre prallen Körbe hin. „Pilzkadaver“, schrie ich, außer mir ob jener unbegreiflichen Kaltblütigkeit, „begreift ihr denn nicht?“ „Doch“, antwortete mein „Kleiner“ knapp. „Aber es ist mir egal.“ Unwillkürich begann ich zu schluchzen. Doch als meine Frau grinste: „nur ein toter Steinpilz ist ein guter“ wußte ich, davon würde ich mich nie wieder richtig erholen.