"Kill-Fahndung" nichts Neues

■ betr.: Berichterstattung über die Todesschüsse auf Wolfgang Grams

betr.: Berichterstattung über

die Todesschüsse auf Wolfgang Grams

Bei aller berechtigten Kritik in den Medien über die immer wahrscheinlicher werdende vorsätzliche Hinrichtung von Wolfgang Grams am 27.6.93 in Bad Kleinen durch Beamte der GSG 9 wird fälschlicherweise der Eindruck erweckt, als passiere dies das erste Mal und sei gewissermaßen eine „Panne“ oder aber die Überreaktion eines einzelnen Beamten. Hierbei bleibt völlig außer acht, daß in der nun schon über 20jährigen Anti-„Terrorismus“-Bekämpfung schon wesentlich mehr Menschen ihr Leben lassen mußten. Erinnert sei hier an die Todesschüsse auf Willi Peter Stoll und Elisabeth van Dyck sowie den versuchten Todesschuß auf meinen Mandanten Rolf Heißler, den dieser nur mit viel Glück und einem Steckschuß im Kopf überlebte, ferner an die vielen in der Haft umgekommenen Gefangenen wie Holger Meins, Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan Carl Raspe, Ingrid Schubert und Sigurd Debus.

Die „Kill-Fahndung“ ist also absolut nichts Neues, es gibt keinen „Fall Wolfgang Grams“, sondern nur einen „Fall Anti-,Terrorismus‘-Bekämpfung“. Hier ist es mit ein paar Rücktritten nicht getan, sondern alle politisch, militärisch und juristisch Verantwortlichen müssen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Rainer Koch, Rechtsanwalt,

Frankfurt

Den Kommentierenden zu „Bad Kleinen und die Folgen(den)“ sowie der republikanischen Öffentlichkeit sei es in die Erinnerung geschrieben, auf welche Art schon in der Vergangenheit BRD-Dienste und Behörden in kriminalistischer Verbindung Verhaftungen und Aktionen gegen die RAF durchführten. Zwischen 1971 und 1979 wurden sieben Tod-Verhaftungen vorgenommen sowie zwei Schwerstverletzte festgenommen, darüber hinaus starben auch gänzlich Unbeteiligte, Unbewaffnete bei den Verhaftungsmaßnahmen. Aus den siebziger Jahren stammt der Begriff der „Kill-Fahndung“; nichts Neues also? Die gegenwärtige Zögerlichkeit beim Zustandekommen einer offiziellen politischen Bewertung wirft die Frage auf, wieviel (nur) noch an der Bekanntgabe eines Staatsnotstandes fehlt.

In beängstigender Weise parallel zu dieser Zögerlichkeit liegt die vorauseilende Rigidität eines BGH-Beschlusses aus dem Frühjahr 1993, mit welchem eine mögliche Haftentlassung langjährig einsitzender RAF-Gefangener abgelehnt wurde, welche sich die Deeskalationserklärung der RAF aus dem Frühjahr 1992 zu eigen gemacht hatten. Dort hieß es, es bedürfe der Prüfung, „ob der Einstellungswandel nur im Hinblick auf die gegenwärtige, den politischen Zielen des Verurteilten ungünstige allgemeine Lage oder auf Dauer und unabhängig von der weiteren politischen Entwicklung in der BRD besteht“. Einer der Gefangenen reagierte so: „Man kann es auch anders sagen: Während solche Leute nach außen noch die demokratische Arie pfeifen, haben sie in ihren Köpfen schon längst den Schritt zum Ausnahmezustand vollzogen.“

Nicht so sehr die personellen Maßnahmen als die inhaltliche politische Qualität einer abschließenden Antwort Bonns wird aussagekräftig werden für die Mentalität einer Bundesregierung für die nächsten Jahre. Günther Goldammer, Celle

Wolfgang Grams und Michael Newrzella sind tot. Mehr wird man wohl nie sicher erfahren über die Schießerei in Bad Kleinen, mit („Selbst-“)Erschießung von RAF- Mitgliedern hat unsere Republik schließlich Erfahrung.

Vor 21 Jahren, im Dezember 1971, wurde in Berlin bei einer Fahndung nach RAF-Mitgliedern Georg von Rauch erschossen, immerhin aus rund zwei Metern Entfernung – heute geht man sicherer vor. Zunächst wurde erklärt, von Rauch sei von „eigenen Tatgenossen“ erschossen worden; Grams starb statt dessen angeblich „von eigener Hand“. Der Schriftsteller Erich Fried sprach damals von „Vorbeugemord“. Der Versuch, diesen Ausdruck als „Beleidigung“ zu inkriminieren, schlug fehl. Diesmal ist mir von derartigen Auseinandersetzungen um die Verteidigung unseres Rechts-Staates nichts bekannt.

Es lohnt sich, Frieds Verteidigungsrede aus diesem Prozeß heute einmal wieder zu lesen (Vorbeugemord. In: Fast alles Mögliche. Wagenbach 1975). Unkoordiniertes Vorgehen der „Sicherheitskräfte“ (für wessen Sicherheit?) bis hin zu einer Schießerei zwischen den verschiedenen Einheiten, eine Mentalität, lieber zu töten als entkommen zu lassen, widersprüchliche Erklärungen zum Tathergang, letztlich Freispruch für den Todesschützen: nichts Neues.

Aber etwas läßt aufmerken, im Unterschied zu Berlin 1971: Wie kommt es, daß heute unverzüglich der Innenminister zurücktritt und durch einen ausgewiesenen Hardliner ersetzt wird, wieso wird der Generalbundesanwalt entlassen und der BKA-Chef unter Druck gesetzt? Gab es nur zu viele Zeugen in Bad Kleinen, wird die Gelegenheit für einen längst geplanten Wechsel genutzt, oder steht ein weiterreichendes Konzept hinter dem „Versagen der Elitetruppe“?

Erich Frieds „Gedanken in und an Deutschland“, 1988 vom Wiener Europaverlag gesammelt, sind heute noch genauso aktuell wie in den 20 Jahren ihrer Entstehung. Rainer Brömer,

Gleichen-Wöllmarshausen