Streit um genetische Ressourcen

Australischer Bundesstaat will für alle Pflanzen und Tiere ein „Blankopatent“  ■ von Dan Leskien

Zu einem historisch einmaligen Schritt hat sich jüngst die Regierung des australischen Bundesstaates Queensland entschlossen. Wie der New Scientist berichtet, plant die Regierung des artenreichen australischen Bundesstaates ein Gesetz, mit dem sämtliche einheimische Pflanzen und Tiere faktisch einem staatlichen Blankopatent unterworfen werden sollen. Erstmals würde sich damit ein Staat per Gesetz die Beteiligung an Gewinnen sichern, die private Unternehmen oder auch andere Länder mit der Nutzung der in diesem Staat beheimateten Pflanzen oder Tiere erzielen. Der Vorstoß Queenslands markiert einen wichtigen Wendepunkt in der seit Jahrzehnten geführten Debatte um Verfügungsrechte an den sogenannten genetischen Ressourcen.

Anlaß zu der australischen Gesetzesinitiative gaben publik gewordene „Pflanzenraube“, die die Regierung in Queensland so nicht mehr hinnehmen möchte. So wurde kürzlich einem japanischen Unternehmen ein Patent auf eine chemische Verbindung erteilt, die wenige Jahre zuvor aus dem Samen der in Queensland beheimateten „Morton Bay Kastanie“ isoliert worden war. Diese Substanz eignet sich ebenso wie das aus der Rinde des unter anderem in Queensland beheimateten Eibenstrauches „Taxus brevfolia“ gewonnene Taxol zur Behandlung von Krebserkrankungen.

Welche Auswirkungen das Beispiel Queensland – wenn es dann Schule macht – haben könnte, wird vor dem Hintergrund der globalen Verteilung genetischer Ressourcen deutlich. Denn schätzungsweise 70 Prozent der gesamten genetischen Vielfalt konzentrieren sich auf nur sieben Prozent der Erdoberfläche, welche sich wiederum auf Gebiete verteilen, die zum ganz überwiegenden Teil in den Ländern der Dritten Welt liegen. So findet sich allein in Kolumbien ein Zehntel aller bisher wissenschaftlich beschriebenen Pflanzenarten. In einer wenige Quadratkilometer großen Forschungsstation in Costa Rica leben mehr Vögel-, Amphibien- und Säugetierarten als in der ganzen Bundesrepublik. Längst hängt der Gen-arme Norden am Tropf des Gen-reichen Südens.

Das Beispiel Queensland stellt daher eine für den Süden durchaus reizvolle Option dar. Tatsächlich sieht das Queensland-Modell ziemlich genau das vor, was seit Jahren zahlreiche Länder der Südhalbkugel in Form der sogenannten „Farmers' Rights“ einfordern, und was zumindest ansatzweise auch in der 1992 unterzeichneten Konvention zum Schutz der Artenvielfalt seinen Ausdruck gefunden hat: Als Kompensation für die Nutzung ihrer genetischen Ressourcen und ihres botanischen wie ökologischen Wissens sollen die Länder beziehungsweise die Betroffenen vor Ort sowohl an den anfallenden Gewinnen beteiligt werden, wie auch zusätzlich Nutzungsrechte bezüglich der Forschungsergebnisse erhalten, die auf ihren genetischen Ressourcen aufbauend gewonnen wurden.

Über siebzig konkrete Fälle, in denen Unternehmen und Forschungsinstitute des Nordens aus Ressourcen und Wissen des Südens massiv Profit schlagen konnten, listete erst kürzlich die „Rural Advancement Foundation International“ (RAFI) auf. So wurde ein in Jamaica entdeckter Schwamm als Ausgangsstoff für ein mittlerweile patentiertes Anti- Krebsmittel verwendet. Ein Inhaltsstoff der chinesichen Heilpflanze Qing Hao, die seit 2000 Jahren zur Bekämpfung der Malaria eingesetzt wird, wurde vom französichen Chemiekonzern Rhone-Poulenc im Labor nachgebaut und soll noch dieses Jahr als neues – mittlerweile ebenfalls patentiertes – Anti-Malaria-Mittel auf den Markt gelangen.

Nach vorsichtigen Berechnungen einer internationalen ExpertInnengruppe soll sich im Jahre 2000 der Wert des aus dem Süden stammenden Keimplasmas allein für die pharmazeutische Industrie auf rund 70 Milliarden Mark belaufen. Zunehmend ist daher in den letzten Jahren eine Mischung aus Hast und Euphorie bei den einschlägigen Unternehmen der Pharmabranche festzustellen. So blies die Hauspostille Phytoform der Firma medisculab erst kürzlich zum Angriff auf den Tropenwald. Die Titelgeschichte „Der Tropenwald – die größte Apotheke der Welt“ fuhr zwar mit der Erkenntnis auf, daß das „Wissen der alten Medizinmänner“ heute wieder gefragt sei. Was die „alten Medizinmänner“ von solcher Wertschätzung bislang zu spüren bekamen, bleibt freilich im dunkeln.

Insbesondere die Forderung der benachteiligten Staaten nach Teilhabe an wissenschaftlichen Forschungsergebnissen stößt bislang auf den geballten Widerstand der Industrie. Forschungsergebnisse privater Unternehmen fallen daher nach Ansicht der USA auch nicht unter die Konvention zum Schutz der Artenvielfalt. Andererseits haben aber auch die Gen-armen Industriestaaten beziehungsweise die vorwiegend dort heimische Bio-Industrie ein direktes Interesse am Erhalt der Mannigfaltigkeitszentren dieser Erde. Denn die genetischen Ressourcen sind nicht nur der notwendige Rohstoff moderner Züchtung. Mit Einführung der neuen Biotechnologien haben die genetischen Ressourcen an Bedeutung hinzugewonnen, da nun auch einzelne Gene der Organismen von größtem wirtschaftlichen Interesse sein können.

Dem wachsenden Bedarf an genetischen Ressourcen steht jedoch deren dramatisch zunehmende Zerstörung gegenüber. Kernforderung einer Studie, die der „World Wide Fund for Nature“ (WWF) kürzlich vorlegte, ist daher auch die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit zwischen Industrienationen und den Dritte-Welt-Staaten bei Sammlung, Schutz und Nutzung von genetischen Ressourcen. Zu diesem Zweck, fordert der WWF, sollen künftig insbesondere auch private und nicht nur staatliche Forschungseinrichtungen gerechte Gewinnanteile an die Länder der Dritten Welt zahlen, wenn sie deren natürliche Ressourcen oder die Erkenntnis traditioneller NaturheilkundlerInnen nutzen.

Einst „gemeinsames Erbe der Menschheit“, das allen zur Verfügung stehen sollte, ist die biologische Vielfalt mittlerweile Gegenstand privater Patent- und – als Antwort darauf – nationaler Besitzansprüche geworden. Die Hoffnung, gewerbliche Schutzrechte des Nordens und als „Counterpart“ nationale Besitzansprüche beziehungsweise Farmers' Rights des Südens an genetischen Ressourcen führten zu einem besseren Schutz der Artenvielfalt, ist freilich trügerisch. Denn wer schützt die Ressourcen vor ihren BesitzerInnen? Anderseits aber zeigen Initiativen wie der Gesetzesvorschlag in Queensland und der auch nach der Unterzeichnung der Konvention zum Artenschutz noch schwelende Streit über die Kompensationsleistungen der Industriestaaten gegenüber den Ländern des Südens, daß genetische Ressourcen längst Handelsware geworden sind. Bislang verdiente allerdings der Norden allein daran.