„Wir sind doch Europäer!“

Die Flüchtlinge im Touristenhotel „Lav“ sollen ausquartiert werden / Zunehmende Aggression gegen muslimanische Vertriebene in Kroatien / Bosnier wollen in Europa bleiben  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Azurblau strahlt die kroatische Adria im gleißenden Sonnenlicht. Auf dem gepflegten, künstlich angelegten Sandstrand räkeln sich schon am frühen Vormittag die Badegäste, Kinder tollen auf dem Spielplatz, erklettern die langen Rutschen und lassen sich mit Gekreisch in das aufwirbelnde Wasser des Schwimmbeckens tragen. Fast scheint es, als ließen sich auch im Jahr zwei des Krieges im ehemaligen Jugoslawien Tausende von Urlaubern aus dem In- und Ausland im Hotel „Lav“ bei Split verwöhnen. Erst bei näherem Hinsehen zeigen sich die Unterschiede zwischen den Gästen des Hochsommers 1993 und „normalen“ Urlaubsfreuden.

In den Hallen des Hotels sind die Polster aus der Sitzlandschaft verschwunden, an den Kiosken werden weder Erfrischungsgetränke noch Eis angeboten. In den zum Strand hin weiträumig angelegten Cafés sind Stühle und Tische wie im Winter aufeinandergestapelt. Das „Lav“ ist kein Urlaubsparadies mehr. Das Hotel der Kathegorie A ist ein Flüchtlingslager.

Seit fast zwei Jahren schon sind hier 2.000 Vertriebene aus Dalmatien, der serbisch besetzten Krajina und dem slawonischen Vukovar untergebracht. Seit Beginn des Krieges in Bosnien-Herzegowina vor einem Jahr beherbergen die weiträumigen Flächen der riesigen Anlage mit ihren Hotelsilos und den Bungalows zudem über 250 Vertriebene aus der Nachbarrepublik. Es sind Kroaten und Muslimanen aus Sarajevo und Mostar, aus Bugnonjo und aus Jaice, die von einem gleichmütig wirkenden Personal in dem für über 1.000 Personen ausgelegten Speisesaal mit dem Frühstück bedient werden.

Bis zum 15. Juli sollen die Hotels geräumt werden

Wie überall in Kroatien sind die Spannungen zwischen beiden Flüchtlingsgruppen fühlbar. Gespräche zwischen Mitgliedern der beiden Nationalitäten sind zur Seltenheit geworden, merkt eine Frau aus Mostar etwas bitter an. Streitereien dagegen seien an der Tagesordnung. Die Angst vor Gewalttaten ist den muslimanischen Frauen anzusehen, die zu einer Versammlung der bosnischen Flüchtlinge in die Räume der „Bosnischen Schule“ gekommen sind.

Die Kämpfe zwischen der kroatisch-bosnischen Miliz HVO und der regulären Armee Bosnien- Herzegowinas, die täglichen Berichte über Greueltaten der islamischen „Mudjaheddin“ hat auch bei vielen Dalmatiniern die frühere solidarische Grundhaltung Flüchtlingen gegenüber verändert. Auslöser für diese neue Aggressivität bildet die neueste Flüchtlingsgruppe: Tausenden von Kroaten aus Mittelbosnien, die seit Mitte Juni aus ihrer Heimat evakuiert oder vertrieben werden, und jetzt nach Dalmatien und in die Westherzegowina kommen. Nachdem die kroatische Regierung Mitte Juni verkündete, die dalmatischen Touristenhotels seien bis zum 15. Juli von allen Flüchtlingen zu räumen, mehren sich die alltäglichen Gehässigkeiten gegenüber den muslimanischen Flüchtlingen.

Als der zweite Vorsitzende der regierenden „Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft“ HDZ, Vladimir Šeks, vor drei Wochen öffentlich erklärte, der kroatische Staat könne keine „Garantie für die Sicherheit der Moslems“ übernehmen, klang dies in den Ohren vieler Vertriebener wie ein Aufruf zum Pogrom. „Die rund 150.000 Muslimanen unter den fast 300.000 Vertriebenen aus Bosnien fühlen sich in Kroatien nicht mehr wohl“, bestätigt die Dalamtinierin Žilka Vejžagić-Kujundžić. Daran konnte nach Ansicht der Professorin aus Sarajevo auch die Rücknahme der Šeks-Ankündigung durch den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman nichts ändern.

Vejžagić, die im Hotel „Lav“ lebt, hat zusammen mit anderen Lehrern die „Bosnische Schule“ gegründet. Die Miete wird durch Spendengelder aus Deutschland finanziert. „Im Hotel sollen Flüchtlinge nun doch bis Ende August bleiben können“, sagt sie, „das Problem ist, daß jetzt auch Kroaten aus Mittelbosnien vorübergehend einquartiert hier werden.“ Diese müssen das Hotel „Marian“ in Split verlassen, um Platz für UNO-Mitarbeiter zu schaffen.

„Zunächst einmal müssen wir uns für die bisher gewährte Gastfreundschaft Kroatiens bedanken“, erklärt Azra Krajsak. Die bosnische Ministerin für Flüchtlingsfragen will auf einer Versammlung der bosnischen Flüchtlinge sprechen. „Ein Land mit 4,5 Millionen Einwohnern, das sich im Krieg befindet, hat immerhin zusammengenommen über 800.000 Vertriebene aufgenommen.“ Doch angesichts der sich jetzt abzeichnenden Spannungen wünschten viele der bosnischen Vertriebenen in andere Gastländer verteilt zu werden. Und an dem Punkt schon wird sie lebhaft unterbrochen.

„Wir wollen nicht nach Jordanien oder Pakistan, wir wollen, daß unsere Kinder englisch oder deutsch, aber nicht arabisch lernen. Wenn wir schon nicht schon sofort in unsere Heimat zurückkehren können, so wollen wir wenigsten in Europa bleiben. Wir sind doch Europäer!“ Eine offensichtlich erregte Frau aus Mostar spielt darauf an, daß die bosnische Regierung bosnische Familien in den arabisch-islamischen Raum verbringen will. Schon am 13. Juni waren die ersten 600 Flüchtlinge aus einem Hotel-Lager in Promajna nach Pakistan gebracht worden. „Dort wird es Schulen für die Kinder geben und kostenlose Gesundheitsfürsorge, die Standards sind höher, als in den Richtlinien der UNO festgelegt“, kontert die Ministerin.

800.000 Vertriebene auf 4,5 Millionen Kroaten

Die Alternative für die Flüchtlinge in den Hotels wäre eine Umsiedlung in Zeltdörfer auf der von der kroatischen Regierung angebotenen Insel Obunjani bei Šibenik - oder aber in das frontnahe Lager Gašinći in Slawonien. Natürlich wolle die bosnische Regierung auch auf die europäischen Länder dringen, weitere Vertriebene aus Bosnien aufzunehmen. „Aber leider unterstützt uns die UNO lediglich bezüglich der Flucht, nicht jedoch bezüglich der Repatriierung“, stichelt die Ministerin.

Derartige Kritik an der Politik der Vereinten Nationen kommt bei den Versammelten zwar gut an, löst aber ihre aktuellen Probleme nicht. So sind Umzüge auch in europäische Aufnahmeländer oft unmöglich, weil die bosnische Botschaft in Zagreb nicht einmal mit der Ausstellung der Pässe für die Vertriebenen nachkommt. „Wartezeiten von zwei Monaten kann sich doch niemand leisten“, klagen die Frauen, „wir brauchen die Pässe sofort“. Die Flüchtlingsgruppe aus Bosnien, Muslimaninnen und auch einige Kroatinnen, wollen zusammenbleiben und gemeinsam in ein neues Gastland ziehen. Für Žilka Vejžagić-Kujundžić wäre dann auch der Fortbestand der „Bosnischen Schule“ gewährleistet. „Wenn wir ein Gastland finden, dann nehmen wir die Schule mit.“

Inzwischen ist es Mittag geworden, die Hitze hat die Badenden in die kühleren Zimmer gezwungen. An der Rezeption tuschelt eine Gruppe Kroaten. „Wir werden noch diese Woche die Bosnische Schule schließen, das können sie ruhig schreiben“, giftet ein Angestellter. „Diese Mudjaheddin sollen sofort von hier verschwinden“, keift ein älteres Ehepaar, „was haben die in Kroatien zu suchen, wir füttern diese Brut durch und dann schießen sie noch auf uns. Und ihr Journalisten verbreitet ihre Lügengeschichten“.