Keine Rente für Kriegsverbrecher

Ehemalige Mitglieder der Waffen-SS im Ausland haben bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit keinen Anspruch mehr auf eine Versorgungsrente / Rückwirkende Überprüfung beginnt  ■ Von Dorothee Winden

Berlin (taz) – Ehemalige Mitglieder der Waffen-SS aus dem Ausland, die beim Militärdienst von 1943 bis 1945 verletzt wurden, sollen künftig keine Versorgungsrente mehr erhalten, wenn sie an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren.

Das Bundesarbeitsministerium soll nun für die im Ausland lebenden Antragsteller eine – jahrzehntelang ungenutzte – Verwaltungsvorschrift des Bundesversorgungsgesetzes anwenden, die einen Leistungsanspruch in solchen Fällen ausschließt. Dies beschloß der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 30. Juni auf Antrag des Bündnis 90/Die Grünen.

Die Ausschlußklausel soll jedoch nicht im Fall einer Zwangsrekrutierung gelten, die in Lettland sehr häufig erfolgte. Etliche ehemalige Angehörige der Waffen-SS, die sich freiwillig gemeldet hatten, stehen im Verdacht, vor ihrem Fronteinsatz Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Viele waren von 1941 bis 1943 als Mitglieder von Polizei- oder Schutzmannschaften an Massenerschießungen wie im lettischen Libau oder in Riga beteiligt. Ebenfalls waren lettische Schutzmannschaften in Konzentrationslagern in der Ukraine oder im Warschauer Ghetto eingesetzt.

Ein Vertreter der Bundesregierung legte im Ausschuß dar, es habe bis zum 31. Mai 1993 insgesamt 414 Fälle gegeben, in denen eine Versorungsrente in Länder der ehemaligen Sowjetunion ausbezahlt werde. Davon seien 171 Empfänger aus Estland, 151 aus Lettland und 46 aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Bei den bereits bewilligten Rentenanträgen werde nun im nachhinein geprüft, inwieweit die Antragsteller gegen die Menschlichkeit oder das Rechtsstaatsprinzip verstoßen haben. Diese Verfahrensweise sei mit den Bundesländern vereinbart worden.

Aus der ehemaligen Sowjetunion lägen insgesamt 1.002 Anträge auf Versorgung vor. Der überwiegende Teil kommt aus Estland (474) und Lettland (459), aus Litauen liegen 13, aus der GUS 56 Anträge vor. Die Angaben eines lettischen Fürsorgevereins, wonach es in Lettland 12.000 potentielle Antragsteller gebe, wies die Bundesregierung als völlig unrealistisch zurück.

Wie der Leiter des zuständigen Versorgungsamtes Ravensburg, Hans-Peter Gianmoena, erklärte, wird er heute die ersten 50 Anträge zur Überprüfung an die Zentralstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg weiterleiten.

Mit dem bisher Erreichten will sich das Bündnis 90/Die Grünen jedoch nicht zufriedengeben. Günter Saathoff, Mitarbeiter der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Bundestag, spricht von einer „Schieflage“: Wenn für ausländische Waffen-SS-Angehörige eine Ausschlußklausel wegen Menschenrechtsverletzungen angewendet werde, müsse dies auch im Inland so gehandhabt werden. Der Sozialausschuß der Bundesregierung habe die Bundesregierung aufgefordert, bis zum Herbst einen Vorschlag für eine rechtliche Neuregelung im Inland vorzulegen.

Saathoff plädiert darüber hinaus dafür, allen, die sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hätten, automatisch den Anspruch auf eine Versorgungsrente abzuerkennen. Schließlich sei die Waffen-SS im Nürnberger Urteil zur verbrecherischen Organisation erklärt worden.

Für die Opfer von NS-Gewaltmaßnahmen in der ehemaligen Sowjetunion ist nach wie vor keine staatliche Entschädigung vorgesehen. Bei einem Besuch in Riga im Mai 93 versprach Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth lediglich, eine private Spendensammlung in Deutschland zu organisieren.