Verschreckte Laiendarsteller ohne Drehbuch

■ Auch im Bundestag war die „rücksichtslose Aufklärung“ der Ereignisse von Bad Kleinen Tagesthema / Innenminister Kanther nahm Sicherheitsbehörden in Schutz

Doppelt hält besser. Diese deutsche Tugend machten sich auch die Vorstände aller Bundestagsfraktionen zu eigen. Um parlamentarisches Licht in die Obskuritäten des GSG-9-Einsatzes von Bad Kleinen zu bringen, einigten sie sich letzte Woche auf eine Sondersitzung des Bundestages. Nach der Anhörung des Rechts- und Innenausschusses am gestrigen Vormittag tagte nachmittags dann das Bundestagsplenum. Die Sitzung begann verhalten: Bundestagschefin Rita Süssmuth (CDU) eröffnete sie mit Gedenksekunden an den GSG-9- Beamten Michael Newrella, der bei der Schießerei in Bad Kleinen erschossen wurde.

Kanther: So wahr mir Gott helfe...

Fast alle folgendenen RednerInnen sprachen in ihren Beiträgen ihr Beileid für die Familie von Newrella aus. Allein Ulla Jelpke von der PDS/Linken Liste fand es skandalös, daß Bundestagschefin Süssmuth nicht dem Tode von Wolfgang Grams gedachte. Mit der Nachdenklichkeit war es im fast vollbesetzen Plenum also schnell vorbei. Als erster Tagesordnungspunkt wurde zur Vereidigung von Bundes-Law-and-Order- Minister Manfred Kanther (CDU) übergegangen. Die religiöse Eides- Bekräftigung „So wahr mir Gott helfe“ waren seine ersten offiziellen Worte im neuen Amt. Aber schon die nächsten klangen weniger zurückhaltend.

In seiner ersten Rede, die die Debatte über den Einsatz eröffnete, kündigte er eine schnelle und vollständige Aufkärung der Vorgänge in Bad Kleinen an – „ohne Wenn und Aber“. Gleichzeitig gab Kanther sich besonnen. Die Sicherheitsbehörden nahm er vor einem „pauschalen Verriß“ in Schutz und wandte sich gegen „voreilige Konsequenzen“. Solange noch Gutachten und Zeugenaussagen bewertet werden müßten, sollten Forderungen „nicht aus dem Handgelenk“ geschüttelt werden.

Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses allerdings lehnte Kanther ab. Hierin fand er — wie die Abstimmung zeigte — bei der überwiegenden Mehrheit von Union, FDP und SPD Zustimmung. Während Jürgen Rüttgers, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, einen Untersuchungsausschuß noch als „verfrüht“ bezeichnete, schloß Peter Struck für die SPD die Einsetzung eines solchen Gremiums zu einem späteren Zeitpunkt nicht aus.

Heftige Kritik an „öffentliche Leichenschau“

Auch an die Adresse von Koalitions-Kollegen richtete Kanther die markigen Worte, daß es klüger sei, „besser ein Interview zu wenig als zu viel“ zu geben. Kanther selbst hatte, noch vor seiner Vereidigung zum Innenminister, ein Interview gegeben.

Anke Fuchs, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, kritisierte wie alle RednerInnen der Opposition die Weigerung von Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger (FDP), ihr Wissen um die Vorgänge in Bad Kleinen der Öffentlichkeit weiterzugeben. Harsche Kritik auch am Verhalten der Bundesregierung insgesamt. Fuchs verglich sie mit „einer verschreckten Laienspielschar, der das Drehbuch abhanden gekommen scheint“. FDP-Innenexperte Burkhard Hirsch stellte sich vor seine Parteikollegin Leutheuser-Schnarrenberger. In seiner Rede sprach er sich für die Wiederbelebung der sogenannten Kinkel- Initiative aus. Diese sah vor, mehrere seit langem einsitzende RAF- Gefangene vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Diese Initiative sei nötig, so Hirsch, „weil die Spirale der Gewalt durchbrochen werden muß“. „Zum Kotzen“ fand er, wie er sagte, die Publikation eines Fotos des erschossenen Grams im Stern: „eine öffentliche Leichenschau“.

Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger wandte sich gegen die Kritik an ihrer Amtsführung. Sie argumentierte, daß wenn jetzt bestimmte Informationen zurückgehlaten würden, geschehe dies ausschließlich zum Schutz und zur Sicherheit von Menschen. Sie bestätigte aber auch, daß eine Landesregierung dafür gesorgt habe, daß eine Reihe von Informationen nicht veröffentlicht werden. Es ist anzunehmen, daß sie damit die rheinland- pfälzische Landesregierung meinte. Myriam Schönecker, Bonn