Oberste Dienstpflicht: Geheimhaltung

■ Die Todesumstände des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams sind auch durch die gestrige Sondersitzung von Innen und Rechtsausschuß nicht transparenter geworden. Die Bundesjustizministerin gab ihr Wissen...

Die zentrale Frage blieb in der dreistündigen Sitzung von Rechts- und Innenausschuß ungeklärt – wie erwartet. Es gebe nach wie vor „keinen Aufschluß“, wer den aufgesetzten Schuß auf den mutmaßlichen RAF-Angehörigen Wolfgang Grams abgegeben habe, bekannte der Vorsitzende des Innenausschusses, Gottfried Bernrath (SPD), nach der Sitzung. Bernraths Fraktionskollegin Cornelie Sonntag war „ziemlich enttäuscht“, auch über Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die noch am Freitag angekündigt hatte, sie wolle ihr Wissen über den Vorlauf des Einsatzes von Bad Kleinen „offenlegen“.

Die Justizministerin wollte reden, aber sie durfte nicht. Am 14. und 17. Juni war sie von dem bevorstehenden Einsatz informiert worden. Um sich selbst von Vorwürfen zu entlasten, wollte sie heute vor den Abgeordneten ihr Wissen preisgeben. Zuvor hätte sie jedoch von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung entbunden werden müssen. Dieser Wunsch wurde ihr nicht erfüllt.

Die Abgeordneten hörten, so sagte es Sonntag, nur „Andeutungen“: um den V-Mann zu schützen, der in Bad Kleinen dabei war, gaben die Sicherheitsbehörden der Ministerin kein grünes Licht für eine Aussage. Pikanterweise galt das nicht nur für das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern offenbar auch für das Landesamt für Verfassungsschutz im von SPD- Chef Rudolf Scharping regierten Rheinland-Pfalz. Hier wurde der V-Mann (bisheriger Wohnsitz: Mainz) geführt. Leutheusser selbst bestätigte gestern indirekt eine Mitverantwortung der Mainzer Regierung. Auf die Frage, ob auch eine Landesregierung auf Geheimhaltung gedrängt habe, meinte die Ministerin im Bundestagsplenum, „verschiedene Stellen“ hätten dies getan.

Die SPD war offensichtlich bemüht, über Scharpings Rolle hinwegzureden. Der SPD-Innenexperte Gerd Wartenberg sah nur „Unstimmigkeiten“ innerhalb der Bundesregierung, die die Justizministerin zum Schweigen angehalten hätten. Bernrath meinte, die Landesregierung habe den Vorgang bereits an den Bundesinnenminister abgegeben. Im Innenministerium von Rheinland-Pfalz mochte man weder die eine noch die andere Version bestätigen. Zuständig für Auskünfte sei allein der Generalbundesanwalt.

Ergebnis der Geheimniskrämerei: Kurzfristig wurde gestern nachmittag die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) einberufen. Vor diesem geheim tagenden Gremium, so hieß es, dürfe die Justizministerin trotz ihrer Schweigepflicht aussagen. Eine Erkenntnis über den V-Mann nahm der CDU-Innenexperte Erwin Marschewski schon aus der Ausschußsitzung als „eindeutig“ mit nach Hause. Der V-Mann sei es nicht gewesen, der den tödlichen Schuß auf Grams abgegeben habe. Marschewski folgerte dies aus der Video-Aufnahme, die den Abgeordneten gestern gezeigt wurde. Neben der mutmaßlichen RAF- Frau Birgit Hogefeld sei auf dem Band auch der V-Mann „überwältigt“ am Boden liegend zu sehen gewesen.

Freilich war das Video-Band erst eine halbe Stunde nach der Schießerei gedreht worden – unter Umständen, die die Abgeordneten zu kritischen Fragen veranlaßte. Ein Bundesgrenzschutzbeamter, der sich vor dem Bahnhof aufgehalten hatte, war beauftragt worden, den Tatort mit seiner Privatkamera zu filmen. Ein eigener Dokumentationstrupp des BKA war auf dem Bahnhof von Bad Kleinen zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend.

Für Wartenberg „völlig unverständlich“ hatte selbst der BKA- Chef Hans Zachert erst am 7. Juli von der Existenz des Videos erfahren. Der Beamte mit der Kamera, so erfuhren es die Abgeordneten, berichtete am 3. Juli dem vom ehemaligen Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) eingesetzten Sonderermittler Christoph Grünig von seinen filmerischen Bemühungen.

Trotz solcher Mängel durfte sich Zachert gestern gestärkt fühlen. CDU und CSU stellten sich mit kräftigen Worten hinter den BKA-Chef. Eine „klasse Vorstellung“ habe Zachert abgeliefert, rühmte ihn der Vizefraktionsvorsitzende von CDU/CSU, Johannes Gerster. Auch die SPD, die noch vor der Sitzung die Ablösung des Amtschefs gefordert hatte, hielt sich gestern mittag zurück. Dies, obwohl sich Zachert im Ausschuß mit riskanten Aussagen vorwagte – etwa, als es um die Frage ging, ob auf Grams ein zweiter aufgesetzter Schuß in den Bauch abgegeben worden war, wie dies der Spiegel berichtet hatte. Während Zachert dies schlicht verneinte, wollte sich der aus Schwerin angereiste Leitende Oberstaatsanwalt nicht festlegen.

Der Gang der Schweriner Ermittlungen bremste auch die parlamentarische Untersuchung in Bonn. Auf die Verlesung von Vernehmungsprotokollen der in Bad Kleinen beteiligten Beamten verzichteten die Abgeordneten gestern. Grund: Noch nicht alle Beamte wurden von einem Richter unter Eid vernommen. Für einen weiteren Zwischenbericht will Bernrath die Ausschüsse eventuell ein zweites Mal im Verlauf der Sommerpause zusammentrommeln. „Wochen, wenn nicht Monate“ könnten die Untersuchungen noch dauern, meinte der CDU-Mann Marschewski. Sein SPD-Kollege Dieter Wiefelspütz war gestern schon nahe an der Resignation. „Nicht ausgeschlossen“, meinte er, daß die Wahrheit „niemals“ ans Licht komme. Hans-Martin Tillack, Bonn