Die Poren melden Land unter Von Andrea Böhm

Wer sich, wie ich es gleich tun werde, vier kostbare Zeitungsspalten lang nur dem Wetter widmet, der setzt sich dem Verdacht aus, daß es nichts Wichtiges zu berichten gibt. Völlig falsch, denn Wetter ist nicht gleich Wetter. Meinen Kampf gegen Hagelstürme und den letzten Schneeblizzard im März habe ich, ohne mit der vereisten Wimper zu zucken, bei meiner Berichterstattung aus den USA souverän übergegangen. Man will sich ja nicht wichtig machen. Dieses Mal liegen die Dinge anders.

Seit über einer Woche putze ich mir die Zähne nicht mehr vor dem Badezimmerspiegel, sondern im Gefrierfach meines Kühlschranks. Das ist erstens gut gegen Karies und zweitens gegen Hitzschlag. Ein kurzer Blick auf das Außenthermometer vor dem Küchenfenster zeigt 28 Grad, was an sich eine anständige Temperatur für den Monat Juli ist – aber nicht morgens um halb acht. Bis Mittag wird das Quecksilber bei einer Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent auf 40 Grad hochköcheln. Die Poren melden Land unter, und es gilt, die Überlebensstrategie für den heutigen Tag festzulegen: Flaches Atmen, sparsame Bewegungen, drei bis vier Liter Flüssigkeit zum Trinken bereitstellen – und beten, daß Joe, der allmächtige Hausmeister, heute vielleicht geruht, die Klimaanlage einzubauen. Geistige Trägheit muß man sich nicht verordnen. Die stellt sich bei einer Zimmertemperatur von 32 Grad von selbst ein.

Das wiederum ist gefährlich, denn Kreativität und Köpfchen sind zum Überleben absolut notwendig. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt: Man kann Wasserhydranten aufdrehen; sich nachts vorbei an schweißüberströmten Polizisten ins öffentliche Freibad schleichen; den Tag im überdachten Eislaufstadion verbringen oder bis zum Morgengrauen notdürftig bekleidet auf dem Motorrad die Brooklyn- Bridge auf und ab fahren. Wer vergessen hat, wie eine Gänsehaut aussieht, geht am besten in die Shopping Mall oder ins Kino. Zwei Orte des gesellschaftlichen Lebens in den USA, die im Sommer immer unterkühlt sind – wahrscheinlich, damit man gar nicht erst auf die Idee kommt, es könne sich um frische Luft handeln. Die gibt's erst wieder draußen und fühlt sich an, als hätte der liebe Gott den Fön angestellt.

Nun fragt man sich, wie es die Menschheit im allgemeinen, und die Amerikaner im besonderen, die Jahre vor Erfindung der Air Condition überstanden haben – zum Beispiel die Hitzewelle anno 1936. Die dauerte zehn Tage, erreichte in einigen Bundesstaaten Temperaturen von 50 Grad im Schatten. Wer überleben wollte, erschien tags nicht zur Arbeit und schlief nachts auf dem Dach. Todesfälle waren auch zu beklagen: In New York ertranken 21 Menschen, die Kühlung im Fluß suchten und in der Hitze vergessen hatten, daß sie nicht schwimmen konnten. Das wenigstens bleibt mir erspart. Erstens kann ich schwimmen, und zweitens hat sich Joe, mein Hausmeister, erbarmt. Jetzt summt im Chor mit der ganzen Straße auch in meiner Wohnung eine Klimaanlage. Unter energiepolitischen Gesichtspunkten is das natürlich höchst verwerflich. Andererseits spare ich Strom, seit ich mir die Zähne nicht mehr im Gefrierfach putzen muß.