Gatt: Wer mit wem gegen wen?

In Genf haben neue Verhandlungen zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen begonnen: Nach der Euphorie des G-7-Gipfels von Tokio steckt der Teufel wieder im Detail  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Der Wirtschaftsgipfel hat neue Hoffnungen geweckt. Nachdem sich in Tokio letzte Woche die Handelsbeauftragten der USA, Kanadas, Japans und der EG grundsätzlich über einen Abbau von Zöllen für Industriegüter geeinigt haben, sitzen seit Montag in Genf die Delegierten der 108 Mitgliedsstaten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) wieder am Verhandlungstisch. Viel Zeit bleibt ihnen nicht, wollen sie die sogenannte „Uruguay- Runde“ zu einem erfolgreichen Ende bringen: Am 15. Dezember läuft Clintons Gatt-Verhandlungsmandat aus, dessen Verlängerung durch den amerikanischen Kongreß als ausgeschlossen gilt.

Doch schon die Einigung von Tokio ist weniger weitreichend, als die ersten euphemistischen Schlagzeilen vermuten ließen. Die USA, Kanada, Japan und die EG verständigten sich nur über die Senkung oder völlig Abschaffung von Einfuhrzöllen in 18 Gruppen von Industriegütern, darunter Maschinen, Textilien, Pharmazeutika und andere Chemieprodukte. Und auch darüber ist noch kein fertiges Abkommen formuliert worden, wie Frankreichs Außenminister Alain Juppé in Tokio zu Recht feststellte. Die Unterhändler der vier größten Wirtschaftsmächte haben lediglich eine Rahmenvereinbarung getroffen, innerhalb derer noch viele knifflige Detailfragen zu lösen sind.

Ob die anderen 93 Gatt-Staaten auch nur diese allgemeine Richtline akzeptieren, ist völlig ungewiß. Insbesondere die 14 Länder der von Australien angeführten „Cairns“-Gruppe, deren Handelseinnahmen überwiegend aus Agrarexporten stammen, dürften ihre endgültige Zustimmung von einem substantiellen Abbau der Importbarrieren gegen Agrarerzeugnisse abhängig machen. Sie verlangen von der EG, die Subventionen der europäischen Bauern drastisch zu senken. Vor allem Frankreich will davon nichts wissen, Bundeskanzler Kohl möchte diesen Widerstand jetzt mit der Zusage von Kompensationszahlungen an die französischen Bauern aus der EG-Kasse überwinden.

Aus Furcht vor ausländischen Reisimporten sperren sich bislang auch Japan und Südkorea gegen liberalere Agrareinfuhren. Und auch die europäische Marktordnung für Bananen steht einem Gatt-Abschluß im Wege.

Liberalisierungen beim Handel mit Dienstleistungen sind nach wie vor sowohl zwischen den Industriestaaten wie im Nord-Süd-Verhältnis umstritten. Bei den Finanzdienstleistungen (Banken, Versicherungen, Kreditkarten) sind USA und EG gemeinsam um Konzessionen Japans und ostasiatischer Schwellenländer bemüht. Diese wiederum verlangen, in diesem Fall in einer Front mit den Europäern, daß die USA ihre bislang vollständig geschützte Binnenschiffahrt der ausländischen Konkurrenz öffnen.

Im Streitfall der Telekommunikation verständigten sich die „Großen Vier“ in Tokio zwar auf eine gemeinsame Position zum Ausbau ihrer Dominanz in diesem Bereich in der Dritten Welt. Doch Washington verlangt zudem die vollständige Öffnung des EG-Marktes für Filme und Fernsehprogramme – nach Flugzeugen 1992 das zweitwichtigste Exportprodukt der USA. Anstoß erregen jene EG- Vorschriften, wonach europäische Fernsehprogramme einen Minimalanteil von lokalen Produktionen und Filmen in einer der europäischen Sprachen enthalten müssen. Unterstützt werden die USA in dieser Forderung von Japan, dessen Unternehmen inzwischen fast die gesamte US-Kommunikationsbranche kontrollieren.

Im gemeinsamen Interesse der nördlichen Industriestaaten liegt eine Vereinbarung über den verbesserten Schutz von Patenten und „geistigem Eigentum“. Verlierer einer solchen Regelung wären vor allem Produzenten von preiswerter Medizin und Lebensmittelprodukten im Süden. Immer weniger Entwicklungsländer sind noch bereit, westlichen Pharmakonzernen hohe Lizenzgebühren für die Herstellung von Medikamenten zu zahlen, die sie für die medizinische Grundversorgung ihrer meist armen Bevölkerung benötigen. Viele dieser Staaten machen Zugeständnisse in dieser Frage abhängig von Konzessionen der USA und der EG im Agrarbereich und bei der Erleichterung von Textilimporten.

Beim Thema künftiger Handelsstreit-Regelungen sind die USA weitgehend isoliert. Während alle Länder des Südens sowie die meisten Industriestaaten bilaterale Maßnahmen und Sanktionen vollständig verbieten und die Kompetenzen des Gatt bei multilateralen Schlichtungsverfahren verbessern wollen, bestehen die Amerikaner auf ihrem „Gesetz 301“, das die US-Administration zu bilateralen Sanktionen ermächtigt.