Sparen auch ohne Schnitte ins soziale Netz möglich

■ Die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier nennt Alternativen zu Waigels Sparvorhaben / Viele Kürzungen Bonns gehen auf Kosten der Kommunen

Berlin (taz) – Noch läßt sich nicht absehen, wie viele Menschen wegen der Kürzungen beim Arbeitslosengeld oder bei den ABM- Stellen künftig auf Sozialhilfe angewiesen sein werden. Der Deutsche Städtetag erwartet jedoch, daß immer mehr auf die Sozialhilfe als letzte Auffanglinie zurückgreifen müssen. Deshalb werde das Bonner Sparpaket die Kommunen bis zu 8,5 Milliarden Mark jährlich kosten. Damit würde die Hälfte der 16 Milliarden Mark, die Bundesfinanzminister Theo Waigel im Haushalt 1994 bei den Sozialleistungen einsparen will, nur zu Lasten der Kommunen verschoben.

Fragwürdig ist der Spareffekt auch bei der geplanten Streichung des Schlechtwettergeldes, das 1959 eingeführt wurde, um Arbeitsplätze von Bauarbeitern über die Wintermonate zu sichern. 900 Millionen Mark Einsparungen jährlich erhofft sich Waigel durch die Streichung. Die IG Bau-Steine-Erden erwartet, daß Bauunternehmer wieder dazu übergehen, Arbeiter in den Wintermonaten zu kündigen. Angenommen, ein Drittel der Bauarbeiter würde in den vier Wintermonaten arbeitslos, bedeutete dies rund vier Milliarden Mehrausgaben für die Arbeitslosenversicherung. Nach Ansicht der Gewerkschaft wird das Ziel des Sparens dabei völlig verfehlt.

SPD: Auch bei den Gutverdienenden sparen

„Am Sparen führt kein Weg vorbei“, stellt auch die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier angesichts der horrenden Staatsverschuldung fest. Doch anders als die Bundesregierung, die den BürgerInnen weis machen will, das Milliardenloch im Haushalt 1994 könne nur durch Kürzungen bei Sozialleistungen gestopft werden, hält sie es für möglich, „umfangreiche Einsparungen ohne Einschnitte in das soziale Netz vorzunehmen“.

Die geplanten Kürzungen bei Kindergeld, Arbeitslosen- und Unterhaltsgeld treffen vor allem die unteren Einkommensschichten. Besserverdiener werden bislang geschont. Matthäus-Maier hält die Kürzungen bei den Sozialleistungen auch deshalb für falsch, weil sie die Massenkaufkraft – und damit die Konjunktur – schwächten. Statt dessen fordert sie den Abbau von Steuersubventionen. Hier lassen sich nach ihren Berechnungen 15 Milliarden Mark sparen, wenn man so fragwürdige Subventionen wie beispielsweise das Flugbenzin oder die steuerliche Berücksichtigung von Schmiergeldern oder Geschenken abschafft. Des weiteren soll der Hausgehilfinnenfreibetrag („Dienstmädchenprivileg“) gestrichen werden (Spareffekt: 500 Mio.), Bewirtungskosten sollen nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden können (Spareffekt: 800 Mio.), ebenso wie Miet-, Pacht- oder Beschäftigungsverträge mit nahen Angehörigen (Spareffekt: 500 Mio.). Die steuerliche Erfassung von Spekulationsgewinnen soll ausgedehnt und die Vermögenssteuerbefreiung in den neuen Ländern soll aufgehoben werden.

Insgesamt hat Matthäus-Maier Sparmöglichkeiten in Höhe von 33 Milliarden Mark aufgelistet. Selbst wenn man einen Anteil von 12 Milliarden, der nicht in die Kassen des Bundes, sondern der Länder fließt, abzieht, bleiben immer noch 21 Milliarden – und damit exakt der Betrag, den Bundesfinanzminister Theo Waigel 1994 im Bundeshaushalt einsparen will.

Sparen will Matthäus-Maier vor allem bei den Verteidigungsausgaben (3-5 Mrd.), bei der bemannten Raumfahrt und der Nuklearforschung (300 Mio.), aber auch bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung (170 Mio.). Der Verzicht auf die Agrarsozialreform brächte 200 Millionen Mark, die Streichung der Gasölbetriebsbeihilfe für die Landwirtschaft 910 Millionen Mark.

Die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe für Selbständige, Beamte, Minister und Abgeordnete brächte jährlich 7 Milliarden in die Bundeskassen. Im Gegenzug soll dafür auf die Nullrunde bei den Beamten verzichtet werden. 4 Milliarden Mark Einnahmen will Matthäus-Maier als „Anfangsbetrag“ durch die verstärkte Bekämpfung der Steuerhinterziehung reinholen. Nach Angaben der Steuergewerkschaft brächte jede Verminderung der Hinterziehungsquote von derzeit 16 Prozent um ein Prozentpunkt Mehreinnahmen von neun Milliarden Mark.

Von den genannten Alternativen hat der Finanzminister bei seiner Streichpartie allerdings keinen einzigen aufgegriffen. Und was die von Matthäus-Maier vorgeschlagene Senkung des Spitzensteuersatzes betrifft, so wurde diese in der vergangenen Woche im Bundesrat auch mit den Stimmen der SPD-geführten Länder verabschiedet. win