Agentin spielte nicht den billigen Racheengel

■ Keine belastenden Worte von der „Spionin aus Liebe“ im Markus-Wolf-Prozeß

Düsseldorf (taz) – Das für die Zeugin „Unvorstellbare“ geschah am 30.9.1990. An diesem Tag wurde die langjährige Mitarbeiterin des westdeutschen Geheimdienstes BND, Dr. Phil. Gabriele Gast, zuletzt im Rang einer Regierungsdirektorin, unter dem Verdacht der DDR-Spionage in U-Haft genommen. Inzwischen darf die Ende 1991 zu sechs Jahren und neun Monaten Haft Verurteilte die Münchner Justizvollzugsanstalt regelmäßig als Freigängerin verlassen. Gestern traf sie im Düsseldorfer Oberlandesgericht auf jenen Mann, der ihr immer den Eindruck vermittelt hatte, für ihre Sicherheit sei alles getan, und im schlimmsten Fall werde sie gewiß ausgetauscht. Doch als es dann passierte, konnte auch der frühere Chef des DDR-Spionagedienstes, Markus Wolf, der jetzt in Düsseldorf angeklagt ist, nichts mehr für seine ehemalige Top-Agentin tun. Am 13.9.91 schrieb Gabriele Gast aus dem Knast heraus an Wolf, sie habe das Gefühl, daß die „persönliche Verbundenheit mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern“ nur der „Quellenpflege“ gedient habe, und bitte um eine ehrliche Antwort. Der Brief blieb unbeantwortet. Während Wolf selbst gestern das Verlesen dieser Briefpassage angespannt wie selten verfolgte, gab sich der Senatsvorsitzende Klaus Wagner betont mitfühlend: „Man könnte den Eindruck gewinnen, daß Sie sich schlecht behandelt fühlten.“ Doch dieser im väterlichen Ton vorgetragene Wink mit dem Zaunpfahl blieb ohne die erhoffte Resonanz. Auch weiteres Nachbohren des Gerichtsvorsitzenden, dessen Verhandlungsführung man anmerkt, wie gern er über Wolf zu Gericht sitzt, half nichts. Den Part des billigen Racheengels mochte die Zeugin nicht spielen. „Der Brief ist für mich gegenstandslos geworden. Das sind Fragen, mit denen ich mich nicht mehr beschäftige, weil ich nach vorn schauen muß.“

Mit ehemaligen Agentinnen wie Gabriele Gast will die Bundesanwaltschaft beweisen, daß Markus Wolf in die Führung der DDR- Agenten unmittelbar eingebunden war. Deshalb fragt der Gerichtsvorsitzende Wagner wieder und wieder, ob der ehemalige Generaloberst Wolf selbst es war, der sie vom Ausstieg aus „der nachrichtendienstlichen Verstrickung“ abgehalten habe. Doch auch hier funktionierte die Zeugin, die während ihrer gut zwanzigjährigen Spionagetätigkeit siebenmal mit Wolf zusammentraf, nicht im Sinne der Anklage. Von Rachegelüsten keine Spur. Ende der sechziger Jahre war die heute Fünfzigjährige in die Fänge der Wolf-Truppe geraten. Bei Studienaufenthalten in der DDR verliebte sie sich in einen Mann, der als Mittler zum Ministerium für Staatssicherheit fungierte. Um diesen Mann regelmäßig wiedersehen zu können, wurde sie zur Spionin. Der ebenfalls Ende 1991 zu eineinhalb Jahren Haft verurteilte Ex-Romeo hat sich seit dem Urteilsspruch nicht mehr gemeldet. Die Antwort auf die Frage des Vorsitzenden, ob das Verhältnis inzwischen „zerbrochen“ sei, kommt ihr sehr leise über die Lippen: „Ich weiß es nicht.“ Walter Jakobs