Man braucht Nerven wie Drahtseile

■ Der Verband der Tagesmütter und -väter geht in die Offensive von Paula Roosen

Gudrun Jeschke aus Hohenhorst hat ihren Sohn bei der Geburt in sieben verschiedenen Kindergärten angemeldet. Das ist vier Jahre her, und vor Mirko stehen noch immer 30 andere Kinder auf der Warteliste. Die Arzthelferin gab jetzt verzweifelt eine Anzeige auf: „Mirko sucht eine Tagesmutter.“ Beim Hamburger Verband der Tagesmütter und -väter weiß Anke Schulz-Henke, daß nur der Hälfte der anfragenden Eltern ein Platz in einer Familie vermittelt werden kann.

Der Verein will jetzt verstärkt Mitglieder werben. Über die ganze Stadt verstreut soll ein Netz der Tagesmütter-Stadtteilgruppen entstehen. Frauen, die seit Jahren ohne Netz und doppelten Boden neben der Hausarbeit noch Pflegekinder betreuen, sollen jederzeit Unterstützung erhalten. Bisher müssen sie sich lediglich formal beim zuständigen Amt für Soziale Dienste melden. Anke Schulz-Henke: „Wir wollen die Tagesmütter aus ihrem Schattendasein herauslocken, aber keinesfalls in Konkurrenz zu bestehen E.inrichtungen treten.“

Im September startet das Qualifizierungsprogramm des Vereins mit vielen Kursen zu Themen wie Erste Hilfe, Sprachentwicklung oder Trotzphasen. Einen breiten Raum nehmen dabei Fortbildungen über die Eingewöhnung der Tageskinder in der Pflegefamilie ein. Die Tagesmütter, die in Hamburg (geschätzt) 18.000 Kinder betreuen, sollen den Job trotz der mit rund 500 Mark pro Kind schlechten Bezahlung regelrecht als Berufstätigkeit ansehen.

Solange das nicht gelingt, leben Frauen wie Gudrun Jeschke von der Sozialhilfe und hoffen, daß sich ihre Situation eines Tages ändern werde. Die Mutter von vier Kindern macht zur Zeit ihre mittlere Reife nach. „Wenn ich nichts lerne, komme ich nie von der Sozi weg“, so ihre düstere Prognose.

Die Tagesmütter und Väter haben in der Regel einen Beruf gelernt, in dem Erziehungsfragen keine Rolle spielen. In ihrem neuen Job sind dennoch pädagogische und psychologische Kenntnisse gefragt. Die Fabrikarbeiterin Andrea Trimborn hat neben ihren eigenen drei noch vier „Tages“-Kinder aufgenommen. In der Altbauwohnung in Altona bahnen sich Daniel (4) und Dimitri (3) mit ihren Plastiktreckern einen Weg durch den Flur. Anfangs habe sie „Nerven wie Drahtseile „gebraucht, erinnert sich die alleinstehende Frau. Aber irgendwann sei ihr der „Lärm in Fleisch und Blut übergegangen“.

Zwei der Tageskinder werden jeden Tag aus Billstedt gebracht, weil deren Mutter dort absolut keine Betreuungsmöglichkeit für die Geschwister gefunden hat. Wenn Andrea Trimborn mit ihrer Karavane zum Spielplatz zieht, bleiben alleinerziehende Mütter stehen und fragen, ob sie nicht „die Sophie“ oder „den Moritz“ noch dazunehmen könne. Die Tagesmutter winkt ab: Die „Familie“ sei jetzt „wirklich groß genug“.

Die Eingewöhnung dazukommender Neulinge dauert oft Wochen. „Ich merke, wenn die Kleinen zu Hause schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ Die Tageskinder seien dann aggressiv oder total verschlossen. Andrea Trimborn ist darauf aus, mit den Eltern möglichst an einem Strang zu ziehen. „Wenn eines der Kids nur Saft ohne Zucker trinken soll, dann ziehe ich das auch durch.“ Ihre neunjährige Tochter Sabrina bringt es auf den Punkt: „Fruchtzwerge zwischen durch is' nich'.“