Hamburgs Wahlkämpfer lecken ihre Wunden

■ Die Rathaus-Parteien wollen in der Sommerpause ihre Verletzungen auskurieren

Urlaubssperren werden gelockert, das Wahlkampfprogramm ausgedünnt, die Wahlkampfstäbe schnurren auf Stallwachengröße zusammen: In den Hamburger Bürgerschaftswahlkampf zieht dieser Tage die Sommerpause ein. Ein Sommertheater, das die müden Lebensgeister der Politoholics aufpeppen könnte, ist derzeit (noch?) nicht in Sicht. Stattdessen haben die Parteistrategen Ruhe und Erholung verordnet.

Mit gutem Grund. Der Wahlkampffrühling im Mai hat nämlich, von der Öffentlichkeit nur wenig bemerkt, in vielen Parteien große interne Probleme sichtbar gemacht. Besonders gebeutelt ist die CDU. Die Bemühungen ihres Spitzenkandidaten Dirk Fischer, der von Faulheit und Inkompetenz ihrer Funktionärs- und Bürgerschaftsriege gebeutelten Partei frisches Blut und Können von außen zuzuführen, scheiterte kläglich. Fischers größter Fehler: Er hat die Neuen mit jener alten Mauschelmanier durchgeboxt, wegen derer das Gericht Neuwahlen verordnete.

In der CDU rebellieren jetzt alle: Die Faulen, die Jungen und die wenigen Fleißigen. Die Stimmung ist auf einem Tiefpunkt. Und: Nicht wenige CDU-Stammwähler, das weiß die CDU, werden diesmal SPD wählen, um Rot-Grün zu verhindern.

Die ganze Hoffnung der CDU-Strategen gilt deshalb dem Sommer. Er soll einen milden Schleier des Vergessens über die Vergangenheit legen. In der heißen Phase des Wahlkampfs, so hofft man, werde die Unfähigkeit des SPD-Senats noch einmal ordentlich Thema und die eigene Truppe dann doch geschlossen marschieren. Auch wenn niemand in der CDU an die Chance auf einen CDU/FDP-Senat glaubt, klammern sich nicht wenige an den Strohhalm einer Großen Koalition. Das bescheidene Wahlziel: Ja nicht unter 30 Prozent sacken, eine absolute Mehrheit der SPD verhindern.

Mit größerer Fröhlichkeit werkelt die FDP an ihrem politischen Flickenteppich. Mit Gisela Wild haben die Elbimmobilisten eine Galionsfigur gefunden, die - wie einst Ingo von Münch - den Clan der Wirtschaftsliberalen durch die Fünf-Prozent-Schleuse und in den Regierungshafen steuern könnte. Unter dem Deck mit Gisela Wild brodelt jedoch das Chaos.

Die Personaldecke der FDP ist extrem dünn. An politischen Konzepten, Nachwuchs oder gar einer ausreichenden Zahl vorzeigbarer Spitzenleute herrscht gravierender Mangel. Derzeit erscheint es sehr fraglich, ob der FDP der Coup von 1987 noch einmal gelingt, als die bunt gemixte Führungs-Quadriga mit Ingo von Münch, Frank-Michael Wiegand, Robert Vogel und Wilhelms Rahlfs die Partei nach innen und außen fest zusammenhielt. Wahlziel: Von der Schwäche der CDU profitieren, über die 5-Prozent-Klippe segeln und dann ein fröhliches „Schaun-mer-mal!“.

Trügerische Stille liegt über dem Treiben der Grünen. Nach ihrem blendenden Start schien man nur noch über die Höhe des Wahlerfolges streiten zu müssen. Jetzt brechen alte Ängste auf: Will man überhaupt soviele WählerInnen? Will man wirklich die gemütlichen Oppositionsbänke verlassen und echte Regierungspolitik mitverantworten? Manchem braven GALier aus der guten alten Zeit schwindelt: Wo bleibt die linke Identität? Wo bitte ist die übersichtliche politische Sandkiste geblieben?

Ängste dieser Art und Skepsis gegen die neuen MacherInnen führen zu zähen internen Debatten und hinhaltendem Widerstand gegen Neuerungen. Es braucht eben Zeit, bis alle sie verdaut haben. Der Sommer soll, so hoffen die GAL-Wahlstrategen, den Verdauungsprozeß befördern. Wahlziel sind ein klares zweistelliges Ergebnis und eine Regierungspolitik, die einigen ausgewählten Eckpfeilern grüner Programmatik zum Durchbruch verhilft. Im Gespräch sind hier derzeit: Frauen, Verkehr, Stadtentwicklung, Umwelt, Kultur und Wissenschaft.

Die erste Euphorie der SPD, dank eines aufgezwungenen Wahlkampfs die eigenen Reihen lustvoll fester schließen zu dürfen, ist inzwischen einer verzweifelten Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit gewichen. Von Voscherau erst keck, dann fordernd ins Spiel gebracht, ist der Schlachtruf „Rot pur!“ zum eisernen Bindeglied der sozialdemokratischen Wagenburg geworden. Jede denkbare Koalition gilt jedem denkbaren SPD-Flügel inzwischen als unvorstellbares Grauen.

Selbst in der SPD-Linken ist die drohende Notwendigkeit rot-grüner Koalitionsverhandlungen heute angstbesetzt. Dabei geht es drinnen in der Wagenburg zunehmend ungemütlich zu. Der Streit um die Plätze in den vorderen Planwagen hat Wunden geschlagen. Fuhrmann Voscherau überblickt sorgenvoll den trutzig-trotzigen Kreis seiner Wagen. Ihm schwant, daß sie beim ersten Ansturm einer Wahlniederlage auseinanderbrechen. Die einzelnen Wagenführer wiederum beäugen sich gegenseitig mißtrauisch und ganz besonders skeptisch ihren Spitzenkandidaten.

Noch freilich ist die Sommerpause von bravem Tun erfüllt: Wagen werden repariert, Achsen geschmiert und Planen geflickt. Im heißen vierwöchigen Wahlkampfendspurt schließlich, so wissen erfahrene Genossen, wird keine Zeit mehr für Sorgen bleiben.

Florian Marten