Heroin vom Staat, Polizei auf die Straße

■ Was der neue Innenstaatsrat Kniesel so will / Deutschlands umstrittenster „Bulle“ arbeitet jetzt in Bremen

Manche nennen ihn einen „liberalen Querdenker“, andere hauen auf die Pauke und sprechen vom „umstrittensten 'Bullen' Deutschlands“: Michael Kniesel ist gemeint, vor kurzem noch Bonns Polizeipräsident, jetzt Staatsrat beim Innensenator, 47 Jahre alt, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, FDP-Mitglied. Sein Vorgänger, Helmut Kauther, ist seit gestern Oberkreisdirektor in Detmold.

Sie sind ja jetzt ein berühmter Mann ...

Michael Kniesel:Berühmt?

Immerhin hat Ihnen die „Zeit“ einen großen Artikel gewidmet, weil Sie in Bonn die Gegner der Asylrechtsänderung innerhalb der Bannmeile haben demonstrieren lassen — Kohl fand das nicht so toll. Haben Sie in Bremen etwas ähnlich Spektakuläres vor?

Ich hab' das ja nicht um des Selbstzwecks willen gemacht. Wir sind in Bonn schon seit Jahren bei Großdemonstrationen eine Linie der Deeskalation gefahren.

Vorgeprescht sind Sie aber auch bei der Drogenpolitik: Sie fordern eine kontrollierte Abgabe von Heroin an langjährig Drogenabhängige. Bremen läßt das die Hamburger ausprobieren. Wollen Sie sich für so etwas auch in Bremen einsetzen?

Darüber wird zu reden sein. Kontrollierte Abgabe geht ja sogar auf der Grundlage des bestehenden Betäubungsmittelgesetzes,

Michael KnieselFoto: Holzapfel

allein aufgrund der Experimentierklausel. Man muß es nur politisch wollen. Das wäre ohne großen gesetzgeberischen Aufwand zu machen. Nachdenken muß man auch über die

Entkriminalisierung weicher Drogen und die Ausweitung des Methadonkonzeptes. Auch aus ureigensten polizeilichen Interessen: Weil Sie die Polizeikräfte dann viel effektiver einsetzen können. Wir laufen jetzt dem Konsumenten hinterher, der aus den Armen des Dealers in die Hände des Arztes überführt werden muß.

Heißt das, daß die Junkies nicht mehr aus dem Viertel vertrieben werden?

Das Ganze muß natürlich tolerabel für den Bürger sein. Aber ich sehe einen Unterschied, ob ich versuche, die Szene polizeirechtlich in den Griff zu kriegen, oder ob ich die mit Strafverfahren überziehe. Das halte ich für relativ ineffektiv.

Es wird also weiterhin eine Vertreibung geben ...

Vertreibung würde ich nicht sagen, aber eine starke Kontrolle wird es geben müssen.

Sie haben sich viele Gedanken über Polizeireform gemacht. Was gäbe es in Bremen zu reformieren?

In Zeiten knapper Kassen muß man überlegen, ob man nicht durch Neuorganisation mehr Beamte auf die Straße bringen kann, auch näher an den Bürger ran.

Haben Sie eine Idee, wie man die ausländischen MitbürgerInnen besser schützen kann?

Wenn wir genug Beamte hätten, würden wir wahrscheinlich am liebsten vor jede Asylbewerberunterkunft zwei Beamte stellen. Für Bonn hab' ich das mal durchgerechnet: Wenn man vor jede der 200 Unterkünfte in drei Schichten zwei Beamten stellen würde, bräuchte man 2600 Beamte. Das Präsidium hat 2300 Beamte, die auch noch ihre Normalaufgaben haben. Sie können nur ein mobiles Konzept der Bestreifung machen, verdeckt und offen, das wird hier schon gemacht. Im übrigen haben da die deutschen Mitbürger die Verantwortung, selbst ein Auge auf das Asylbewerberheim in der Nachbarschaft zu haben. Innere Sicherheit ist ohne den Bürger heute nicht mehr herstellbar.

Die CDU will das Thema „Innere Sicherheit“ ja zum Wahlkampfthema machen.

Ich gehe davon aus, daß der Senator nicht andere das Thema offensiv besetzen läßt. Als Liberaler würde ich zunächst mal sagen: Innere Sicherheit zum Nulltarif gibt es nicht. Den Sand streuen die Konservativen dem Bürger gern in die Augen so nach dem Motto: Sicherheit und Freiheit kann man gleichzeitig maximieren“ — das ist unmöglich. Wenn Sie Sicherheit maximieren wollen, müssen sich die Bürger zum Beispiel mehr Kontrollen gefallen lassen. Es wird in jedem Staat, sogar in einem Polizeistaat, immer Sicherheitsdefizite geben. Die Frage ist nur: Welche Sicherheitsdefizite sind noch tolerabel, darüber muß man sich dann politisch unterhalten. Ein Staat, der den Anspruch erhebt, Kriminalität zu hundert Prozent aufzuklären, ist ein Polizeistaat. Da steht nicht nur ein Polizist hinter der Ecke, da weiß auch der Computer alles — da würde ich nicht leben wollen. Fragen: Christine Holch