: Kurzgeschnittene Apo-Kalypse
■ „Ausgebrannt. Protest in der Krise“ – eine alternative Talkshow mit Alt-68ern, West3, 20.15 Uhr
Walser, Enzensberger und Botho Strauß, die Protagonisten der bürgerlich geläuterten Intellektuellen, wollten nicht. Böll, Bloch und Adorno konnten nicht. Jens, Habermas und Augstein mußten nicht sein. Also kamen diejenigen von den Saturierten vor die Kamera, die immer noch mit Wortmeldungen präsent sind: Überlebende der Klasse von 1968 wie Carola Stern, F.C. Delius, Cohn-Bendit, Lettau, Bissinger, Vollmer, Staeck, Boehlich, Buhro, Bahman Nirumand, Niedecken, Eberhard Richter und Giovanni di Lorenzo, der Erfinder der Lichterkette (diejenigen, denen es die Sprache verschlagen hat, wie Fritz Teufel, sind ein ganz anderes Thema). In einem sind sie sich einig: Die Intellektuellen äußern sich zu selten, besonders heute, da es über so vieles etwas zu äußern gäbe. Statt dessen, so könnte man hinzufügen, äußern sich viel zuviele, die sich nur dafür halten.
Passenderweise haben die Autoren Johanna Schenkel, Jürgen Bevers und Jochen Dietrich eine „alternative Talkshow“, mit Richard Rogler als „Moderator“ zusammengestellt: aus Interviews, die alle vor Ort, zuhause oder im Büro der Gesprächspartner, jedenfalls fast immer vor einem beeindruckenden Bücherregal eingefangen wurden. Begegnungen zwischen den Befragten fanden also keine statt, aber wozu Dinge erzwingen, die offenbar keiner mehr will? Die Vorteile gegenüber einer konventionellen Laberrunde liegen auf der Hand: Alle konnten ausreden, und alle Wortbeiträge konnten hinterher kurzgeschnitten werden. So entsteht zwar immer noch der keineswegs überraschende Eindruck von Rat- und Tatenlosigkeit, aber: Phrasen gedroschen werden hier kaum.
Die Altprotestler versuchen eine aus ihrer Sicht ehrliche Bestandsaufnahme. Lettau spricht von der wirkungslos gewordenen Protestkultur, Bissinger von Intellektualität, die nur noch konsumiert werde, Stern vom Ende des ideologischen Zeitalters, Cohn- Bendit gar vom Ende der Zeit, da man an das Gute im Menschen glaubte. Apo-Kalypse also aus ihrer Sicht. Selbst der zynische Blick zurück (s. Rogler) wird vom Psychoanalytiker Richter als „Rettung vor der Selbstkritik“ entlarvt. Die Zeit des breiten Widerstands von links scheint vorbei, folgerichtig haben die Autoren die 68er-Archivbilder verfremdet, wie verschwommene Erinnerungen. Wenn sich die Befragten dagegen zum Warum und Wohin der heutigen rechten Pest äußern, zeigt sich wieder die alte Schwäche der Bewegung, vielleicht ihre größte, sozusagen die Schattenseite des Meinungspluralismus: Jeder kennt eine Antwort – die eigene. Oliver Rahayel
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