Ein Leben unter Knochen

■ „Super Mario Bros.“: Ein Klempner sucht Tyrannus Rex

Noch in den siebziger Jahren war Biologie ein Fach für verzweifelte Oberschüler: Erst mußte man Blumen sortieren, dann Frösche zerlegen, und am Ende kam irgendwann die menschliche Spezies dabei heraus, wenn man alles wieder richtig zusammengesetzt hatte. Mehr Sisyphusarbeit als prometheische Schöpfung. Shigeru Miyamoto, hochmathematischer Computerspezialist und als solcher von Natur aus Darwin, den Griechen und dem Alten Testament gegenüber skeptisch, hat jedoch eine ganz andere Version von der Evolution für die japanische Elektronikfirma Nintendo erfunden: Am Anfang war der Donkey Kong, ein lustig digital hin und her hampelnder Primat, der über ein Labyrinth aus Leitern und Rutschbahnen herrschte, bis ihn der dicke kleine Klempnermeister Super Mario im Kampf von Mann zu Affe besiegte. Dieses Modell hat sich als Videospiel gegen Staat und Kirche bei weiten Teilen der Jugend durchgesetzt.

1993 hat Herr Miyamoto die TV-gebundene 8-bit-Konsole NES auf 16 bit erweitert: Der Affe hampelt jetzt gemeinsam mit seinem rotbemützten und blaubemannten Widersacher dreidimensioniert unter den flinken Fingern über den Bildschirm. Das wirkliche Leben schreitet derweil ähnlich rasant fort, Weiblein werden durch Bestrahlung und Kraftfutter zu Männlein, Kälber kann man zu wandelnden Spare Ribs formen, und aus einem Fliegenschiß lassen sich Saurier klonen, wenn man den entsprechenden Code kennt.

Um das relative Menschsein der gentechnisch noch unbeleckten Restwelt möglichst behutsam nahezubringen, hat Nintendo ungefähr 50 Millionen Dollar in einen Kinderfilm für Erwachsene investiert, der die Weltgeschichte ein wenig im Sinne des rückwärts gewandten Futurologen Erich von Däniken umschreibt: Vor 65 Millionen Jahren ist ein Meteorit auf die Erde geprallt, weshalb sich das Universum in der vierten Dimension verbiegen mußte. Folglich lebten die als ausgestorben geltenden Dinosaurier von nun an in einer Art umgestülpten Erdinneren weiter, lernten lesen, schreiben, denken und mehrten sich in der Freizeit redlich, bis die Evolution auch unter Tage beim Menschen angelangt war. Ein Urknallrevival könnte die Reptiloiden wieder auf die Oberfläche befördern, zurück nach Manhatten.

Doch da ist Bob Hoskins als Super Mario vor. Er verlegt die maßgeblichen Rohre der Unterwelt neu, balzt mit üppigen Kreidezeitmatronen und sprengt unter Zuhilfenahme von Urschleim und Babybomben den über das Echsenwesen hinausgewachsenen Tyrannus Rex „Koopa“ (Dennis Hopper) bei Spielstufe 10 in die Hemisphäre zurück. Nebenbei macht sein Klempnerkollege und Mündel Luigi erste Liebeserfahrungen mit einer Paläontologiestudentin, die sich am Ende aber doch für ein Leben unter Knochen entscheidet. Und ein fieser Mogul der Tiefbau- Mafia wird in einen Schimpansen verwandelt. Die Moral von der Geschichte: Wer anderen eine Grube gräbt, landet zuweilen selbst im schwarzen Loch.

Offensichtlich sind Herr Miyamoto und mit ihm die ausführenden RegiesseurInnen Rocky Morton und Annabel Jankel einem Irrtum aufgesessen. Erwachsene werden den unterschiedlich herausgearbeiteten Schwierigkeitsgraden der Kampfhandlung im Land der Dinosaurier nicht folgen können, und die meisten Kinder ballern lieber selber, als daß sie irgendwelchen übergroßen Blindschleichen und Witzfiguren beim Saurier- Battle zusehen wollen. Schlimmer noch, dieser ganze halbgare Humbug um monumental ausgestattet nachgestellte Videospielszenen ist nicht einmal lustig. Hopper stakst als Cybersaurier befremdet und sehr desinteressiert durch das Geschehen, Hoskins hüpft wie ein gepeinigter Hansdampf durch den künstlichen Schlamm in der Kanalisation. Da werden noch Köpfe rollen. Harald Fricke

„Super Mario Bros.“, von Rocky Morton und Annabel Jankel, Buch: Ed Solomon, Parker Bennet und Terry Runté, mit Bob Hoskins, John Leguizano und Dennis Hopper, USA 1993, 90 Min.