■ Kommentare der „Tagesthemen“ werden vorzensiert
: Parteibuch rein, Parteibuch raus?

Daß es einem rechten Bayern schmeichelt, lobt man seinen stattlichen Kropf – erklärt etwa den Stolz der ARD auf ihren „Tagesthemen-Kommentar“ noch nicht hinreichend. Die Volontärsbinse, daß jede Nachricht, mindestens in ihrer Auswahl, bereits Wertung beinhaltet – beweist den fiktiven Charakter des Hochamtes: „Jetzt – der Kommentar“, werden wir gewarnt. Als hätte den Rest der Sendung der liebe Gott persönlich nachmittags in der Redaktion vorbeigebracht. Glaubt keiner, weiß jeder. Also muß der gesprochene Leitartikel weiteren Umständen sein Dasein verdanken. Er soll leiten, also Richtung in die Meinungsmengen mischen. Er soll Farbe zeigen, also ehrlicher Meinung sagen als die Meldung. Und in kommerziellen Zusammenhängen, wie auch die ARD quotentechnisch einer ist: Bindung durch Sympathieträger erzeugen.

Fritz Pleitgen hat den Solinger Mordanschlag in den Zusammenhang mit der Tage zuvor beschlossenen Asylrechtsminderung einsortiert. Das ist eine Richtung. Klaus Bednarz verweist auf die Mitverantwortung derer, die von „Asylantenschwemme“ schreiben. Das muß sich einer trauen. Mithin waren beide handwerklich korrekter als der nicht ganz unübliche Kommentar: „Lassen Sie es mich knallhart vorlesen – Sie haben völlig recht, liebe Zuschauer.“ Wenn der deutsche Fernsehzuschauer irgend etwas immer schon geahnt hat, dann das.

Trotzdem werden nun diese beiden und drei weitere „Tagesthemen-Kommentare“ über das Solinger Verbrechen zur Ursache für schärfere Kommentatorenauswahl. Wo bisher die ARD-Chefredakteure sich untereinander einigen durften, welcher der versammelten Zwanzigender abends auf der Lichtung röhren darf – vielleicht sind deshalb Frauen in diesem Job eher Randgruppe –, da soll ab sofort der „ARD-Politik-Koordinator ein Vetorecht“ gegen vermeintliche Unpluralität anwenden. Dabei hätte es seinen Charme, jeden Abend jemand beim Unpluralsein zugucken zu dürfen. Daß besagter Hartmann von der Tann nun mit jeder Entscheidung beweisen muß, daß er diese Machtfülle bekam, obwohl er Sportredakteur ist – und nicht etwa gerade deshalb – wird es ihm schwer genug machen.

Daß Heinz Klaus Mertes selig zu seiner Zeit einen Günter Wallraff im „Tagesthemen-Kommentar“ auch über justitiable Grenzen hinaus anpöbeln durfte, scheint vergessen. Mertes' anschließender Abgang zu Sat.1, die bisher brutalste Kampfmaßnahme der ARD gegen private Konkurrenz, wirkt vergleichsweise elegant gegen die neue Beschneidung: Wollt Ihr Farbe – guckt die anderen. Fazit: Ein Gremium, in das man nur mit Parteibuch reinkommt, wird gemaßregelt, weil nicht genug Parteibuch rauskommt. Wenigstens das, dachte ich, könnten die Privaten besser. Friedrich Küppersbusch

Moderator des Politmagazins „ZAK“ in der ARD