„Das scheinheilige Engelsgesicht des Missionars“

■ US-Lebensmittelhilfe gefährdet Babynahrungs-Selbsthilfeprojekt in Belorußland

Berlin (taz) – Das Projekt schien nicht nur erfolgversprechend, es erfüllte obendrein die Kriterien von Entwicklungshilfeorganisationen: Berliner „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung“ hatten in einem radioaktiv unbelasteten Teil von Belorußland mit Spendengeldern eine Babynahrungsfabrik errichtet, die mit einheimischen Arbeitskräften und lokal angebautem Getreide das gesamte Land mit unverstrahlter Babynahrung zum Selbstkostenpreis versorgen kann.

Die Idee für das Projekt ist auf die Erfahrungen mit den Kindererholungsreisen zurückzuführen. Nach der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1986 wurden Kinder aus den verstrahlten Gebieten nach Deutschland verschickt, doch allmählich wuchsen die Zweifel daran, ob diese Art von Hilfe überhaupt sinnvoll sei. In den Urlaubsgenuß kamen nämlich vor allem die Mädchen und Jungen der belorussischen Funktionäre.

Außerdem waren die längerfristigen Auswirkungen auf die Kinder und ihre Familien nicht immer günstig. Manche Eltern schickten ihre Kinder gleich mit Einkaufslisten in den Westen. Angesichts der Überflußgesellschaft fiel es den verschickten Kindern oft schwer, den Urlaub anschließend zu verarbeiten.

Gleichzeitig wollten immer weniger Menschen aus den belasteten Gebieten umgesiedelt werden. Das lag vor allem am ökonomischen Anreiz: Wer blieb, bekam höheren Lohn und mehr Lebensmittel. Außerdem wurden Umgesiedelte in ihrer neuen Heimat meist wie Aussätzige behandelt.

Das Babynahrungsprojekt basierte auf dem klassischen Prinzip der Entwicklungspolitik: Hilfe zur Selbsthilfe. „Barnhouse“, ein Babynahrungshersteller aus München, stellte die Technologie zur Verfügung. Außerdem konnten die „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung“ das rheinland- pfälzische Sozialministerium für eine finanzielle Unterstützung gewinnen.

Das Projekt wurde mit den Betroffenen geplant und gründlich durchdacht. Dennoch traten am Anfang unerwartete Probleme auf: Die belorussischen Partner zerstritten sich untereinander, und eine Kolchose, die das Fabrikgebäude zur Verfügung gestellt hatte, wollte die Produktion samt Anlage übernehmen. Außerdem stiegen die Ansprüche der belorussischen Partner: Es sollten nicht mehr länger Gebrauchtwagen gespendet werden, sondern nur noch fabrikneue Fahrzeuge – angeblich wegen der schlechten Straßenverhältnisse.

Das Projekt nahm jedoch zunächst sämtliche Hürden. Seit Juli 1992 produziert die Babynahrungsanlage in Solbtsy – rund 70 Kilometer westlich von Minsk – eine Trockennahrung aus Hafer, Weizen und Gerste, die mit Wasser oder Milch zu Brei aufbereitet wird. Jährlich können 120 Tonnen vollwertige Nahrung hergestellt werden.

Ein Bäcker und ein Techniker wurden angelernt. In der Anlage arbeiten außerdem sechs belorussische Frauen und die Geschäftsführerin aus Ostberlin. Noch muß ökologisch angebautes Getreide aus Deutschland importiert werden, aber ab Herbst werden drei belorussische Bauern, die ihre Betriebe umgestellt haben, die Fabrik versorgen.

Doch das Überleben des Projekts ist plötzlich gefährdet. Eine US-amerikanische christliche Wohlfahrtsorganisation, „City Hope International“, liefert nämlich seit kurzem mit Hilfe des Landwirtschaftsministeriums in Washington kostenlos Lebensmittel. Die belorussischen Krankenhäuser, die für die Verteilung der Babynahrung verantwortlich sind, nehmen inzwischen lieber die Gratis-Gläschen aus den USA, mit denen die Christen aus dem Bible- Belt, dem Mittleren Westen der USA, ihre eigenen Seelen retten wollen – ohne Rücksicht auf Verluste.

In Ruanda hat ein weitsichtiger Gesundheitsminister die „brutale Yankee-Fratze im scheinheiligen Engelsgesicht des Missionars“ vor die Tür gesetzt – und die Unesco gleich dazu, die Weizen geliefert und die einheimische Landwirtschaft dadurch zerstört hat, als es eigene Nahrungsmittel im Überfluß gab.

In Belorußland wird es wohl noch eine Weile dauern, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt.

Deshalb sind die „Investoren“, die von den „Müttern und Vätern gegen atomare Bedrohung“ geworben werden, jetzt um so wichtiger. Mit einem Spendenbetrag von zehn Mark pro Monat können die Kosten für Herstellung und Verteilung der Babynahrung pro Kind und Monat gefördert werden. Ein echtes Öko-Schnäppchen auf dem Hilfsleistungsmarkt. Wieland Giebel

Informationen: Bettina Gierke, Hertzbergstr. 14, 12055 Berlin, Tel. 030-6 811 591, Fax 6 869 852

Spendenkonto: Kinder von Tschernobyl, Berliner Sparkasse, Kto.-Nr. 64 00 198 62/ BLZ 10050000