Die Justizministerin und der Domino-Effekt

SPD und CSU wollen am Stuhl von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sägen / Wiefelspütz (SPD): Von Stahls Entlassung war „dilettantisch“ und „amateurhaft“  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) muß den Domino-Effekt fürchten. Nach dem Rücktritt von Innenminister Rudolf Seiters (CDU) und der von Leutheusser verfügten Entlassung des Generalbundesanwalts Alexander von Stahl wackelt jetzt auch der Stuhl der Justizministerin. Der ehemalige SPD-Chef Hans-Jochen Vogel sagte der Illustrierten Stern, er halte einen Rücktritt der Ministerin für möglich. Die Kritik der Sozialdemokraten richtet sich vor allem auf die Umstände, unter denen Leutheusser den Generalbundesanwalt am vorvorigen Dienstag in den einstweiligen Ruhestand entlassen hatte.

Hintergrund sind unterschiedliche Aussagen der Ministerin über ihre Motive für die Entlassung des Generalbundesanwalts. In der vergangenen Woche hatte sie öffentlich lediglich erklärt, „die anhaltende Kritik“ an von Stahl drohe „das Amt zu beschädigen“. In der Sitzung von Innen- und Rechtsausschuß am Montag wurde sie nach Angaben von Teilnehmern konkreter und nannte von Stahls Informationspolitik als Motiv ihrer Entscheidung. Dies habe sie nicht nur auf die Ermittlungen zu Bad Kleinen bezogen, sondern auch auf Fälle in der Vergangenheit.

Im Ausschuß sei das als eindeutiger Hinweis auf die Pannen im Fall Solingen verstanden worden, sagte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz gestern der taz. Leutheusser habe im Ausschuß weiter berichtet, daß sie von Stahl bereits vor der Schießerei in Bad Kleinen „mündlich und schriftlich“ für dessen Amtsführung kritisiert habe.

Vogel meinte, wenn Leutheusser von Anfang an gewußt habe, daß von Stahl überfordert gewesen sei, dann trage sie dafür auch die politische Verantwortung. Wiefelspütz sagte der taz, er halte die FDP-Ministerin für ähnlich überfordert wie den entlassenen Generalbundesanwalt. Als „dilettantisch“ und „amateurhaft“ habe er es empfunden, daß Leutheusser gleich nach von Stahls Entlassung ihren Parteifreund Jörg van Essen als möglichen Nachfolger genannt habe. Nach dessen „Nein“ sei die Nachfolge des Generalbundesanwalts nun ein Thema, das Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und SPD-Chef Rudolf Scharping (SPD) unter sich aushandeln könnten, ohne daß die Justizministerin darauf größeren Einfluß habe.

Die CSU erneuerte unterdessen ebenfalls ihre Kritik an Leutheusser. Ihr Vorschlag, RAF-Häftlingen Hafterleichterungen zu gewähren, wurde vom bayerischen Justizminister Hermann Leeb als „verfehlt“ zurückgewiesen. Es sei ein „verhängnisvoller Irrtum“, zu glauben, daß die RAF durch besonderes Entgegenkommen oder durch Milde zum Ablassen von ihren „verbrecherischen Aktivitäten“ veranlaßt werden könne.

Unterstützung erhielt die Justizministerin hingegen aus ihrer eigenen Partei. Es gebe „keinerlei Gründe“, die Position der Justizministerin in Frage zu stellen, erklärte FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms in der Berliner Morgenpost. Sie habe „das volle Vertrauen der Fraktion“. Solms verteidigte auch die Absicht von Leutheusser und FDP-Chef Klaus Kinkel, die Versöhnungsinitiative gegenüber der RAF wiederaufzunehmen. Es gehe jetzt darum, eine Eskalation zu verhindern. „Deshalb muß man alle Möglichkeiten zur Befriedung nutzen und die Hand ausgestreckt halten“, sagte der FDP-Politiker.