: Praxisstreß und Lagerkoller in 183 C
Die Anwendung der neuen Asylverfahrensbestimmungen bereitet den Flüchtlingen im Frankfurter „Flughafenverfahren“ Leid, den MitarbeiterInnen der Sozialstation Ärger mit dem BGS.
„Wir haben einen humanitären Auftrag, der Bundesgrenzschutz dagegen einen hoheitlichen.“ Gudrun Petasch, Leiterin der Sozialstation am Frankfurter Rhein-Main- Flughafen, benennt den Interessengegensatz im Gebäude 183 C der Flughafen AG, dem „Quasi- Gefängnis“ (Rechtsanwalt Roman Fränkel) für all die AsylbewerberInnen, die dem sogenannten Flughafenverfahren zugeordnet wurden. Die energische Frau mit dem Kurzhaarschnitt hat sich knapp zwei Wochen lang abgearbeitet: an den undurchsichtigen Bestimmungen des neuen Asylverfahrensgesetzes, an den physischen und psychischen Auswirkungen des Hungerstreiks auf ihre Schützlinge und nicht zuletzt offenbar auch an der Sturheit der Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS).
Gudrun Petasch und ihre (wenigen) MitarbeiterInnen haben gute Arbeit geleistet: Trotz „chronischer Unterbesetzung“ der Sozialstation wurde ein Schichtdienst für die Betreuung der Flüchtlinge organisiert. Vom BGS wurden nach Intervention der SozialarbeiterInnen zwei Stabsärzte für die medizinische Versorgung der über 30 hungerstreikenden AsylbewerberInnen gestellt. Und für alle neu Angekommenen organisierten Gudrun Petasch und ihr Stab Beratungsgespräche zum neuen Asylverfahren in Deutschland und vermittelten Anwälte für die notwendigen Eilanträge gegen die Eilentscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) – Außenstelle Rhein-Main-Flughafen.
Daß die verzweifelten Flüchtlinge ihren Hungerstreik am Sonntag abgebrochen haben, hat bei Gudrun Petasch für „große Erleichterung“ gesorgt. In intensiven Gesprächen sei es gelungen, die zu allem entschlossenen Flüchtlinge davon zu überzeugen, daß die von ihnen geforderte Anerkennung als AsylbewerberInnen mit dem Mittel des Hungestreiks „angesichts der geltenden Rechtslage nicht zu erreichen“ sei. Mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge ohne Papiere bekamen innerhalb der vorgeschriebenen Frist von zwei Tagen einen Ablehnungsbescheid, weil sie – so die Auffassung der „Entscheider“ nach den Angaben des BGS – aus „sicheren Drittstaaten“ kamen und/oder ihr Asylantrag „offensichtlich unbegründet“ war. Nach der Aushändigung der ausschließlich in deutscher Sprache verfaßten Ablehnungsbescheide an die Flüchtlinge läuft dann die drei Tage dauernde Widerspruchsfrist vor dem Verwaltungsgericht an. „Die Zeit arbeitet gegen uns“, sagen die HelferInnen von der Sozialstation. Es sei vorgekommen, daß Flüchtlinge ihre Ablehnungsbescheide erst kurz vor Mitternacht ausgehändigt bekamen: „Alles Schikane.“
Gudrun Petasch berichtet von einer Frau aus Pakistan, die mit einem „Streßsyndrom“ in eine Klinik gebracht werden mußte. Auch BGS-Stabsarzt Klaus Merle spricht davon, daß die psychische Verfassung der seit knapp zwei Wochen im Gebäude 183 C eingesperrten Menschen „nicht sehr gut“ sei: „Einige Leute haben das nicht verkraftet.“ Am Montag befanden sich 64 Menschen aus Asien und Afrika, darunter zehn Kinder, im „Flughafenverfahren“. Auf Nachfrage wollte der Leiter des Grenzschutzamtes Frankfurt, Klaus Severin, nicht sagen, wie viele Quadratmeter den Flüchtlingen zur Verfügung stehen. Aber: „Neben den beiden Schlafsälen und einem Aufenthaltsraum gibt es ja noch Duschen und Toiletten.“
Die MitarbeiterInnen der Sozialstation haben inzwischen erreichen können, daß die Flüchtlinge an die frische Luft dürfen — auf einem mit Stacheldraht umzäunten Rasenstück am Rande einer Rollbahn. Am Tor stehen dann bewaffnete BGS-Beamte. Sie hätten auch wegen der „schlechten Bedingungen hier im Lager“ die Nahrungsaufnahme verweigert, so ein Flüchtling aus Zaire. „Wir fordern noch immer ein Überlebensrecht in Deutschland“, ergänzt sein Leidensgenosse aus Pakistan. „Wie ein Stein“ liege das ganze Asylverfahren in seinem Kopf: „Ich kann an nichts anderes mehr denken. Ich werde hier verrückt.“
Während der Gespräche der JournalistInnen mit den Flüchtlingen in einem unmöblierten kleinen Dienstraum des BGS immer dabei: die BGSler – mit Dienstpistole im Halfter und starrem Beamtenblick. Einen Blick in die drei Räume für die knapp 100 Menschen, so die Prognose für das Wochenende, zu werfen, wurde den VertreterInnen der Presse verwehrt – „aus Sicherheitsgründen“, wie BGS-Chef Severin betonte. Auch will Severin vor laufenden Kameras nicht sagen, wie viele „Entscheider“ aus Zirndorf inzwischen am Flughafen arbeiten. Fest steht jedenfalls, daß ein Großteil der Asylanträge nicht in der vorgeschriebenen Zwei-Tage-Frist bearbeit werden kann. In 46 von 110 Fällen, so Severin, sei den „Entscheidern“ die Entscheidung in Rekordzeit „zu heikel“ gewesen. Von den insgesamt 164 Flüchtlingen, die seit dem 1. Juli auf Rhein- Main ankamen, konnten 54 Menschen einreisen, 64 wurden mit dem „Flughafenverfahren“ überzogen – und 46 konnten einreisen, weil die Entscheider im Flughafenverfahren die Zwei-Tage-Frist überschritten hatten.
Noch haben die ausschließlich für das „Flughafenverfahren“ abgestellten Verwaltungsrichter in Frankfurt keinen der Eilanträge gegen die Blitzentscheidungen der BAFL-Mitarbeiter beschieden. Das Gesetz läßt den Richtern dafür gerade mal 14 Tage Zeit. Läuft diese Frist ohne Entscheidung ab, dürfen die betroffenen Flüchtlinge nach Deutschland einreisen. Klaus-P. Klingelschmitt, Frankfurt
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