Liebeslied der Gegensätze

■ Eröffnung des 10. Sommertheaters mit Reza Abdohs „Law Of Remains“

Ihm hallt der Ruf voraus, „der Berserker“ des Theaters zu sein und wenn man nur die Aneinanderreihung der extremen künsterlischen Mittel liest, die Reza Abdoh für seine Inszenierung „The Law Of Remain“ (Das Gesetz der Überreste) benützt, erwartet man eine Erscheinung wie Charles Manson oder Genesis P. Orridge: Eimerweise Theaterblut, anatomische Lehrfilme, Gemetzel und Obszönitäten, akustische Attacken und schließlich der Hinweis an das Publikum in den Programmheften, daß empfindliche Kleidung für diese Aufführung ungeeignet sei, sorgen im Vorhinein für einen Kitzel, der dem Lockruf von Splatter-Filmen sehr ähnlich sein mag.

Prompt stellt sich Reza Abdoh — wie sollte man es anders erwarten, eine eher zierliche und freundliche Person — selbst ein wenig wie der Zauberlerling dar, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Denn eben jene Medien, die Abdoh durch die Einführung der Figur des kannibalischen Massenmörders Jeffrey Dahmer als Medienstar, der schon beim Töten Interviews gibt, kritisiert, buchstabieren ihr Loblied auf den neuen „Schocker“ in Großbuchstaben. Wenn nicht diese Medien, wer sonst hat für den weltweiten Erfolg und die gewisse Abdohmania gesorgt. Wenn er als Reaktion auf diesen von ihm entfachten Wirbelsturm nun etwas großmäulig behauptet, die Medien interessieren ihn nicht, dann gibt das doch ein wenig Anlaß zum Schmunzeln.

Doch diese Selbsttäuschung ist eine der wenigen naiven Flecken in der Rede des gebürtigen Iraners, der als Kind reicher Perser nach England zur Erziehung entsandt, dort mit 13 Jahren seine erste Inszenierung — und dann gleich Peer Gynt — zustande brachte. Akkurat und überlegt äußert sich Abdoh selbst dort, wo er nur seine Verwirrung eingesteht. Auf die Frage, ob die drastische Zelebrierung von Tod und Zerstörung den Versuch darstelle, die Haltung seines Publikums zu Tod und Sterben zu ändern, antwortet er: „Ich glaube, daß viele Menschen im Publikum meine Verwirrung in Bezug auf den Tod teilen. Ich weiß doch selbst nicht, wie meine Haltung zum Tod eigentlich ist. Wie soll ich also ihre Haltung ändern und ändern in was? Ich bin nicht Kierkegaard, für den es ein „entweder-oder“ gibt.“ Vielmehr ist es sein Wunsch, sein Publikum zu verstören, indem er ihnen ein „Gedankenmaterialfeld“ zeigt, aus dem es sich bedienen kann. „Es ist doch genau dieser Entweder-Oder-Absolutismus, der unsere Gefühle beherrscht, unsere moralische Trennschärfe, unser Gefühl für Verantwortlichkeiten. Alle gesellschaftlichen Status-Quo-Symbole, alle Moral-Kodizes des Establishments, gerade, wenn sie als gültig anerkannt und vollständig sublimiert wurden, sind beherrscht von dieser absolutistischen Haltung. Das mag passend sein für einige Aspekte unserer Kultur, aber nicht für ihre Gesamtheit. Anstatt alles zwanghaft in Einklang zu bringen, die Unterschiede auszulöschen, sollten wir versuchen, zu verstehen, zu akzeptieren und das Gegensätzliche in uns aufzunehmen.“

Eine dieser Gegensätze ist die Verwendung stilisierter Brutalität, die Abdoh aber mit dem Wunsch verbindet, ein Positiv von dieser Vorlage beim Publikum zu erzeugen. „Ich habe immer mit der Idee des Endes, der Zerstörung gekämpft, aber in seiner Bedeutung der Neuformung. Sicher hat meine Arbeit an der Oberfläche viele zerstörerische Elemente, aber sie sind alle simuliert. Innerhalb des Geschehens herrscht dann aber immer der Kampf vor, das Konstruktive zu finden und der Sache ein neues Leben einzuhauchen.“ In diesem Fall durch die inhaltliche Triangel Dahmer, Andy Warhol (der einen Film über den Trieb-Killer dreht) und ägyptisches Totenbuch (das den spirituellen Backround bildet).

Etwas gereizt reagiert der mit 28 Jahren noch recht junge Regisseur, der aber schon auf 15 Jahre kontinuierliche Regiearbeit zurückblickt, auf das Stichwort „Ästhetik des Schocks“. „Ich nenne es nicht Ästhetik des Schocks. Was immer es aber ist, es kann begriffen werden als eine Transformation des täglichen Lebens. Gleichzeitig ist es eine Art Reformation, das Vertraute wie das Unvertraute, das Unsichtbare zu nehmen, um es gemeinsam auf ein architektonisches Raster zu stellen, um dann zu sehen, was in dieser Spannung passiert.“ Dialektik zieht sich durch alle Antworten Abdohs, der seine Einflüsse aus so unterschiedlichen Quellen wie indischen Kathakali-Tanz und Michel Foucault, HipHop und griechische Tragödie, amerikanisches Fernsehen und Sufi-Philosophie zieht. Gleichzeitig besitzt der Provokateur ein erstaunliches Urvertrauen in das Publikum. „Ich glaube an den menschlichen Mechanismus des Herzens. Selbst ein großbürgerliches Operpublikum geht nicht nur ins Theater, um gesehen zu werden, sondern, weil es den Dialog sucht, die intellektuelle und gefühlsmäßige Herausforderung. Die völlige Nebensächlichkeit, die gibt es beim Publikum nicht.“

Wer also in einer der vier Vorstellungen von „The Law Of Remains“ der Comapgnie Dar A Luz, die ab heute in der Halle 1 stattfinden, ein unfreiwilliges Blutbad nimmt, der weiß wenigstens, wie es gemeint ist. Es kommt vom Herzen.

Till Briegleb

Heute, 20.30 , sonst 19.30 Uhr