Zerfleischungskunst

■ Strindbergs „Dödsdansen/Totentanz“ inszeniert vom Theater der Trillionen

„Die Hölle, das sind die anderen“, schreibt Jean-Paul Sartre Anfang der 40er Jahre in seinem Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“. Zwei Männer und eine Frau fristen nach ihrem Ableben gemeinsam in einem kleinen Raum ihr nachirdisches Dasein. Der Existentialismus keimt.

Bereits 1899 pferchte August Strindberg ein Ehepaar auf einer Insel 25 Jahre in einen Turm. Sie leben unter Feinden, sind sich selbst spinnefeind. Der Ehestifter und Cousin der Frau kommt auf die Insel, um eine Quarantänestation einzurichten, für Pest-, Cholera- und Geschlechtskranke. „Glaubst du an die Hölle?“, fragt ihn der Ehemann. „Glaubst du nicht daran?“, erwidert er, „du, der mitten drin ist?“ Ein klaustrophobisches Bild, selten ist Ekel vor den Menschen in dieser Zeit so bildlich übersetzt worden wie in „Dödsdansen/Totentanz“.

Das „Theater der Trillionen“ hat sich mit feinsinniger Akribie an dieses Stück gewagt. Entstanden ist ein Röntgenbild ehelicher Zerfleischungskunst und Nina Tannebergers Regie der Langsamkeit führt die Sezierkunst genüßlich in Zeitlupe vor. Alice (Gudrun Herrbold) und Edgar (Armin Zarbock), das mit sich selbst gestrafte Ehepaar, sind an den Enden eines unendlich langen, schmalen Bühnegangs plaziert, blau-weiß gestreifte „Sträflings“-Matratzen polstern den Schlauch, Baunetze trennen die Zuschauer beidseitig vom Geschehen. Sie strickt, er knarzt schrullig und hantiert mit einer Pinzette in einer Tabakdose. Beide sind sie in ihre peniblen Arbeiten vertieft, zwei kleinliche Kleingeister, die einander lauernd umschleichen – in der Hoffnung, Gift und Galle spucken zu können. Kurt (Dirk Borchardt), der Cousin, kommt in dieses Setting gerade recht. Auf ihn entlädt sich die angestaute Aggression, und das arme, opportunistische Würmchen (mit einer fleischfarbenen, schuppenden Gummibadekappe sehr sympathisch ausgestattet) bekommt, wo immer möglich, eins auf den Deckel. Das macht (sichtlich) Spaß. In der Eingangsszene wird er hereingetragen und fallengelassen, dann geprügelt, gestoßen, dem Publikum vorgeführt.

Ein verrücktes Ehepaar lebt seine kindisch-sadistischen Gefühle aus. Alice ist „von satanischem Temperament“, auch wenn sie strickend gar liebreizend aussieht. Mal hysterisch, mal boshaft, mal lockend tobt sie im Bühnenschlauch, kuscht aber sofort, wenn sie auf den Widerstand ihres Gatten stößt. Er, an Anfällen erkrankt, die zu Ausfällen führen, spielt die Erstarrung, einen sterbenden Schwan, der manchmal noch die körperliche Kraft der Verzweifelten hat, sich meist aber auf seelische Grausamkeiten beschränken muß. Die fulminanten Ausbrüche des Ehepaares braucht die Inszenierung zwar als Kontrapunkt zur Grundstimmung der Langsamkeit, sie kommen jedoch manchmal zu ruppig und unvermittelt: Sie unterbrechen den Fluß, wo sie ihn spannend steigern könnten.

Dieses Gebräu der Boshaftigkeit muß am Ende explodieren – doch es implodiert. Das Böse sitzt in jedem. Der Versuch, die anderen zu vernichten, ist zum Mißlingen verdammt. Strindberg entschied sich am Ende seines Stücks (erster Teil) für eine scheinheilige Silberhochzeitsfeier. Das „Theater für Trillionen“ aber hat Brecht (u.a.) studiert: Es steigt mitten in der Handlung aus, sich gegenseitig für den angeblich verpatzten Auftritt und andere schaupieltechnische Ausfälle beschimpfend. Petra Brändle.

Theater der Trillionen: „Dödsdansen/August Strindbergs Totentanz“. Bis 14.August im Freien Schauspiel Berlin, Pflügerstraße3, Neukölln.