■ „Baderepublik“ Italien: Chemisch und bakteriell verseucht
: Sonne, Meer und Dreck

Rom (epd) – Badesaison in Italien. Sonntag für Sonntag wälzen sich aus den Städten Blechlawinen an die Küsten der Adria oder des Tyrrhenischen Meeres. Im August, wenn alle Ferien haben, verwandelt sich das Land ohnehin in eine „Baderepublik“, wie Politiker und Journalisten lästern. „Mare nostrum – unser Meer“ nennen die Italiener noch heute das Mittelmeer, Kernstück des römischen Weltreichs. Doch darüber, was unter der meist trügerisch blauen Wasseroberfläche brodelt, wissen die meisten kaum Bescheid.

Alljährlich im Sommer beginnt um die 7.179 Kilometer lange italienische Küste und die 42 größeren Seen im Land ein verwirrender Zahlenstreit. Zunächst erscheint ein dreibändiger Bericht des Gesundheitsministeriums: Auf meerblauem Papier wird erklärt, daß 55 Prozent der Küsten zum Baden freigegeben werden. Bei näherer Prüfung der aus dem Vorjahr stammenden Untersuchungsergebnisse stellt sich allerdings heraus, daß einige Regionen die landesweit geltenden Grenzwerte für chemische und bakterielle Verseuchung eigenständig nach oben schrauben dürfen. Dazu gehören etwa die von Massen ausländischer Touristen besuchte Emilia Romagna sowie einige Gemeinden im Delta des Po, anerkannt schmutzigster Fluß Italiens. Andere, allen voran die Regionen des Südens, haben ihre Küsten einfach nicht kontrolliert. Auf der Insel Sizilien stehen von 1.425 Küstenkilometern nur 734 unter Kontrolle. Aber auch die bei Deutschen besonders beliebte Toskana ist nicht besser – von 573 Küstenkilometern sind 171 nicht kontrolliert.

Der Bericht gehört eigentlich ins Reisegepäck jedes Italien-Urlaubers. Nur so kann dieser nämlich erfahren, daß auf den liparischen Inseln das Baden genausowenig ratsam ist wie im Golf von Neapel und an einigen Stränden Ischias, am Westufer des Gardasees und am Vulkansee von Bracciano nördlich von Rom. Auch der See von Albano ist unterhalb der päpstlichen Sommerresidenz von Castel Gandolfo bakteriell verseucht. Doch dort wie in den meisten anderen Fällen weigern sich die Kommunen, die Gäste darauf aufmerksam zu machen: Badeverbot bedeutet Ausbleiben der Touristen und Flaute in den ohnehin leeren Gemeindekassen.

Auf Negativmeldungen im Ausland reagiert Italien empfindlich. So wehrte man sich 1991 nach dem Tankerunglück vor der ligurischen Küste vehement gegen eine „antiitalienische Kampagne“ in Deutschland, weil dort über die ölverschmierten Strände Liguriens berichtet worden war. Doch Kritik an den unzureichenden Kontrollen kommt auch aus den Reihen italienischer Umweltschützer. Die „Lega Ambiente“ (Umweltliga) beklagt, daß die Gewässer noch immer nicht auf Schwermetalle und Pflanzenschutzmittel untersucht werden, sondern nur auf bakterielle Verseuchung. „Baden kann man auch in einem als Ökosystem schwer beschädigten Meer“, sagt Roberto Della Seta von „Lega Ambiente“. Stichprobenweise unternehmen die Umweltschützer deshalb jedes Jahr ihre eigenen Analysen mit zwei Schiffen, die die Küsten abfahren. Sie korrigieren den Bericht des Gesundheitsministeriums jedesmal.

Wenig später schaltet sich auch der italienische World Wide Fund for Nature (WWF) ein – mit wieder anderen Ergebnissen. Der einzige, der sich aus allem heraushält, bleibt Umweltminister Valdo Spini. Der beschäftigt sich mit Gesetzentwürfen für die zukünftige Kompetenz der Umweltkontrolle, da diese mit dem Volksentscheid vom 18.April den Gesundheitsämtern entzogen worden ist. „An Gesetzen mangelt es uns nicht“, sagt ein Mitarbeiter des Umweltministeriums. „Wir haben die strengsten Umweltgesetze Europas. Sie werden nur nicht beachtet.“

Während das Umweltministerium den Sommer mit Kompetenzgerangel vertrödelt, leiten Großstädte wie Mailand und Neapel ihre Abwässer weiterhin ungeklärt in den Po oder direkt ins Meer. Von 5.295 geplanten Kläranlagen wurden in den vergangenen 20 Jahren gerade 634 gebaut, obwohl die Bauaufträge im Wert von umgerechnet 40 Milliarden Mark für alle vergeben waren. Schmiergelder flossen dafür, doch die Anlagen gingen nie in Betrieb. Mal fehlt die Elektrizität, mal das „geeignete Personal“. In dem politischen Vakuum nach dem Referendum und dem Fall der traditionellen Parteien traut sich in diesem Sommer niemand in Italien, Umweltpolitik zu machen, alle Projekte liegen auf Eis. Das Land wird bis zu den Wahlen – wahrscheinlich erst im nächsten Jahr – nur verwaltet. Erst danach hat das italienische Mittelmeer vielleicht wieder eine Chance. Birgit Schönau