Unproduktive Skepsis

■ betr.: "Pyrrhussieg der Demokratie", taz vom 6.7.93

betr.: „Pyrrhussieg der Demokratie“, taz vom 6.7.93

[...] Es handelt sich doch bei dem errungenen Sieg nicht darum, daß Aristide zurückkehren „darf“! Er will, er soll und er wird zurückkehren, weil das haitianische Volk dies so beschlossen hat und weil viele Menschen in der ganzen Welt begriffen haben, daß dieser Beschluß unverrückbar ist; denn sonst bleibt Haiti unregierbar. Keine Nation, kein Staat – außer dem skrupellosen Vatikan – hat seit dem Putsch gegen Aristide je diplomatische Beziehungen mit den herrschenden Zombies in Uniform aufgenommen. Die sich als zivile Politiker in den Dienst der von Panik und Drogen getriebenen Militärs einspannen ließen, sind allesamt erbärmlich gescheitert.

Die HaitianerInnen sind durch eine zu lange politische Schule gegangen, als daß sie sich durch irgendeinen Popanz noch an der Nase herumführen ließen. Die Wahl Aristides zum Präsidenten war nicht ein historischer Zufall, sondern bewußt gewählte Chance, sich selbst und der Welt zu demonstrieren, daß neue Politikformen nicht nur denk-, sondern auch machbar sind. Die sieben Monate seiner Amtszeit sind nicht einfach eine vergangene Episode, an der nun möglicherweise angeknüpft werden sollte. Sie sind unauslöschlicher Bestandteil des haitianischen Gedächtnisses ebenso wie des internationalen Gedächtnisses, das einen vergleichbaren Fall zärtlicher Beziehungen zwischen Volk und Präsident nicht kennt. Die darauffolgenden zwei Jahre Putschregime und die hiermit verbundenen Leiden prägen sich natürlich ebenso tief in die Seelen und Köpfe der Betroffenen ein – und das ist nicht nur die große Mehrheit des Volkes, das seinem Präsidenten unerschütterlich die Treue hielt, sondern auch die restlos kompromittierten Militärs und die Mehrzahl der professionellen Politiker. [...] Ulrich Mercker, Bonn