■ Richter Wolfgang Neskovic zu einem Haschisch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
: „Dieses Urteil signalisiert ein Umdenken“

Am Mittwoch entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) in Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerde eines Autofahrers, der sich nach dem Konsum eines Joints einem medizinisch-psychologischen Gutachten, dem sogenannten „Idiotentest“ unterziehen sollte. Das BVG gab nun dem Beschwerdeführer recht, da dies einen verfassungswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstelle (Wahrheit vom 15.7.). Im übrigen, so die Karlsruher Richter, zeigten sich die Behörden gegenüber Alkoholsündern „deutlich nachsichtiger“ als bei Haschischrauchern. Wolfgang Neskovic, der als Vorsitzender Richter der Zweiten Kammer des Lübecker Landgerichts im Februar 1992 in einer Beschlußvorlage das BVG anrief, um prüfen zu lassen, ob die Strafbewehrung für Erwerb, Konsum und Weitergabe von Cannabis mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei, und dem bislang 13 Gerichte, darunter die Landgerichte Hildesheim, Frankfurt und Osnabrück, gefolgt sind, interpretiert das Urteil.

taz: Herr Neskovic, wie bewerten Sie das Karlsruher Urteil?

Wolfgang Neskovic: Das Urteil verdient Aufmerksamkeit. Es wird all diejenigen nachdenklich machen, die ständig vor der angeblichen Gefährlichkeit von Haschisch warnen, ohne dafür konkrete wissenschaftliche Belege anführen zu können. Dem Mythos der Gefährlichkeit von Haschisch wird durch diese Entscheidung weitgehend der Boden entzogen. Die allgemeine Hatz von Gerichten und Straßenverkehrsbehörden auf Haschischkonsumenten wird erheblich erschwert.

Hat das Urteil auch Folgen für die Lübecker Vorlage beim Bundesverfassungsgericht – Straffreiheit für Haschischkonsumenten?

Ja. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung auf juristische Grundsatzüberlegungen zurückgegriffen oder hingewiesen, auf die auch der Lübecker Vorlagebeschluß fußt. Dabei haben die Karlsruher Richter insbesondere die Ungleichbehandlung zwischen Alkohol und Haschisch angesprochen. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes, der über den Lübecker Vorlagebeschluß zu entscheiden hat, wird es nun viel schwerer haben, diesen zurückzuweisen. Es kann sogar sein, daß es zu einer sogenannten Plenumsentscheidung kommt, an der alle 16 Richter beider Senate mitzuwirken haben.

Was bedeutet das Urteil künftig für Richter?

Es signalisiert ein Umdenken, weil es nicht auf Vorurteile zurückgreift. Die Richter haben sich an die medizinisch-pharmakologischen Tatsachen gehalten und die allgemeine Dämonisierung von Haschisch nicht mitgemacht. Es steht fest, daß Haschisch grundsätzlich keine ernste und dringende Gesundheitsgefahr darstellt. Es wäre zu wünschen, daß sich eine solche Einstellung an allen Gerichten durchsetzt. Das wird jedoch noch lange dauern, wenn man berücksichtigt, daß nach einer aktuellen Untersuchung der Universität Gießen noch 90 Prozent der RichterInnen an das Märchen von der Einstiegsdroge Haschisch glauben.

Was halten Sie von Haschisch im Straßenverkehr?

Grundsätzlich sollten im Straßenverkehr alle Mittel unterschiedslos verboten werden, die auf die Fahrtüchtigkeit Einfluß nehmen können. Neben Alkohol und Medikamenten gehört auch Haschisch zu den Substanzen, die sich auf die Fahrtüchtigkeit auswirken können. Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß Haschischgenuß nicht generell im Sinne des Strafgesetzbuches fahruntüchtig macht, sondern nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen.

(Interview: Philippe André)