Nudité oblige

Französische FKK-Zentren eröffnen die Badesaison für ostdeutsche Naturisten / Im exklusiven Club „La Jenny“ können Golfer ganz ohne Dress einputten  ■ Von Melanie Kunze

Wolken ziehen auf. Die junge blonde Frau nimmt ihre Strandtasche und das Buch, in dem sie gerade in der Sonne noch gelesen hatte, und setzt sich unter die blau- gelb gestreifte Markise des Cafés. Sie ist nackt. Genau wie der Vater und seine kleine Tochter, die auf dem Fahrrad mit einem Korb voller Einkäufe nach Hause radeln. Ein älteres Paar kommt händchenhaltend zurück vom Strand. Auch sie nackt. „Nudité oblige“ (Nacktheit verpflichtet) steht auf dem Schild, das an einer Pinie hängt. Wir sind im „Centre Helio Marin de Montalivet“, dem ältesten französischen FKK-Urlaubszentrum am Atlantik.

Das französische Fremdenverkehrsamt hat ostdeutsche Journalistinnen eingeladen, um ihnen zu präsentieren, wie nackter Urlaub à la France aussieht. Als französische Antwort auf die immer größer werdende ostdeutsche Nachfrage. Zu DDR-Zeiten badete auf Hiddensee oder Rügen jeder nach seiner Fasson. In zweiter Plaste- und Elaste-Haut oder eben ganz hüllenlos. Im Westen dagegen, auf Sylt oder Amrum, ist unbekleidetes Baden reglementiert. Nach der Wende wurden auch im Osten Schilder aufgestellt. „Wessis vertreiben nackte Ossis“, titelte die Boulevardzeitung Super. Eine neue Unfreiheit, die verleitet, sich an einen anderen Ort zu wünschen. Diesmal an einen, an dem man einfach nackt sein kann.

Im Süden Frankreichs, an der spanischen Grenze, gibt es solche „Wunschziele“. Roger Perret, der siebzigjährige FKK-Präsident aus Paris, kennt keine besseren. „Seit Jahrzehnten mache ich hier Urlaub mit der ganzen Familie“, schwärmt der charmante Chef aller nackten Franzosen. Heute bleibt er angezogen, weil es in Strömen regnet. Die Feriendorfstraßen im „Centre Helio Marin“ sind inzwischen leer. Nur ein einsamer wohlbeleibter Wanderer kommt näher. Unter seinem Regenschirm trägt er nur ein kleines schwarzes „Nichts“, die minimalistischste Form einer Badehose. Und auch die trägt er nur wegen des Sauwetters.

Zeit für eine kleine Reise in die untextile Vergangenheit. Die Augen von FKK-Präsident Perret leuchten. Schließlich ist „Monsieur le Président“ ein Zeitzeuge. Er kannte den großen Albert Lecocq, den Gründer der französischen Naturisten-Bewegung, noch persönlich. Zum Beweis zieht er ein altes zerknittertes Foto aus der Brusttasche seiner Jacke. Darauf er selbst mit der Gattin seines FKK-Urvaters. In den dreißiger Jahren hatte das Ehepaar Lecocq in Paris den „Club der Sonne“ gegründet und begonnen, die Naturisten zu organisieren. Zwanzig Jahre später entstand hier bei Montalivet das erste FKK-Ferienzentrum.

„Bonjour, mes amis, il pleut encore ...“ Im kleinen Studio von „Radio Naturisme“ stehen die Freizeitfunker François und Gilles. Große schwarze Kopfhörer sind das einzige, was sie tragen inmitten von tausend Knöpfen und Schaltern. „Nach dem nächsten Song gibt's das Tagesprogramm.“ Service für diejenigen, die sich animieren lassen wollen. Gilles liest mit tiefer Stimme vor, wann der Yoga- Kurs anfängt und was man zum Seidenmalen alles mitbringen soll. Erzählt den Hörern, daß sein Lieblingsfilm heute abend im Freiluftkino-Programm läuft und verkündet das Motto für die nächtliche Disco. „Vielleicht fängt nachher auch die Sonne wieder an zu scheinen. Dann geht ihr alle an den Strand, und keiner hört uns mehr zu.“

Das Feriendorf bei Montalivet ist ein einziger Pinienwald. 200 Hektar Platz zum Leben in Zelten, Wohnwagen oder Holzhäusern. Jedes Jahr entstehen schickere kleine Bungalows. Moderne Naturisten haben nichts gegen eine Spülmaschine in der Holzhütte. Für die Archaischen unter den Nackturlaubern hingegen gibt es ein besonderes Bonbon: 40 Jahre alte einfachste Übernachtungsmöglichkeiten, Einraum- Holzverschläge ohne alles.

Nackt sein ist schön. Golfen ist schick. Beides zusammen hat schon fast göttliche Züge. Wer hat nicht schon mal davon geträumt, ganz ohne Golfdress über das Green zum nächsten Schlag u flanieren? Für leicht snobistische Naturisten jedenfalls die Erfüllung schlechthin. „La Jenny“, das etwas exklusivere FFK-Zentrum, bietet diese Möglichkeit seit kurzem. Hier herrscht die pure Harmonie. Die Freikörper-Urlauber wohnen in Holzhäusern. Pastell- oder naturfarben unaufdringlich stehen sie im Schatten der hohen Bäume.

„Nacktheit ist obligatorisch“, erklärt die von Kopf bis Fuß in Jeans gekleidete Managerin des Zentrums, Françoise Gaigne, dynamisch auf deutsch. „Das bedeutet aber nicht, daß jeder verpflichtet ist, nackt Tennis zu spielen oder nackt einkaufen zu gehen. Ich selber mag mich nicht nackt von einem angezogenen Kellner bedienen lassen. Jeder kann entscheiden, wo er lieber was anhat. Nur im Pool und am Strand ist Nacktsein absolute Pflicht.“ Immer wieder versuchen niederträchtige Spanner sich in das unverhüllte Paradies einzuschleichen. „Aber die fallen dann durch ihr unangenehmes Verhalten oft gleich auf“, beteuert Madame Gaigne, „und werden sanft gebeten zu gehen.“

Um den störenden Eindringlingen von Anfang an keine Chance zu geben, hat sich das etwa zwei Autostunden entfernte Nachbarzentrum Arnaoutchot eine besondere Variante zum Schutz seiner ungeschützten Besucher ausgedacht. Single-Urlauber müssen sich eine Patenfamilie suchen, um hier überhaupt Urlaub machen zu können. Familienmitglieder gelten als sichere Klientel; Singles stehen unter Beweispflicht, nicht auf der Pirsch, sondern auf der Suche nach dem Einklang mit sich selbst und der Natur zu sein. Wie jeder gute Naturist. Präsident Perret lächelt, um Verständnis werbend: „Bon, Naturisten sind eben besondere Menschen. Viele werfen uns vor, daß wir uns abkapseln wollen. Aber das ist falsch. Wir wollen bloß unsere Ruhe.“

In Ruhe nackt sein – die französische Antwort auf eine ostdeutsche Nachfrage.

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