: Für einen polizeistarken Staat
In Ungarn wird der Sicherheitsapparat aufgerüstet ■ Aus Budapest Keno Verseck
Ungarns pausbäckiger Innenminister Péter Boross gefällt sich in der Pose des starken Mannes. Seit Monaten tourt er durch die magyarische Tiefebene und droht in Vorträgen mit seinem Lieblingsmotto: „Wir brauchen einen starken Staat!“ Die Verabsolutierung der individuellen Rechte, so seine These, führe zu deren Mißbrauch. Die Kehrseite des „übertriebenen Liberalismus“ sei die Vervielfachung der Straftaten.
Einem Schreckensbild aus „schwachem Staat“, „Fremdenzustrom“, „Ausländerkriminalität“, „illegalen Sozialhilfeempfängern“ und „Umweltproblemen“, das er von der gegenwärtigen Situation des Landes zeichnet, folgt gewöhnlich seine Forderung nach Verdoppelung der Polizeistationen und der Einstellung von 10.000 neuen Polizisten.
Zwar sind Boross' Thesen unter ungarischen Oppositionspolitikern nicht völlig unumstritten. Doch drei Jahre nach dem Amtsantritt der ersten postkommunistischen Regierung herrscht zwischen Oppositionsparteien und Regierungskoalition der Konsens, daß das Land eine starke Polizei braucht. Der Staatsapparat und – als sein Teil – die Polizei haben sich konsolidiert. „Ordnungswächter“ – so das ungarische Wort für Polizisten – treten wieder mit ihrem unter kommunistischer Herrschaft alltäglichen Selbstbewußtsein auf.
In den Medien wird zwar ausführlich über diverse Korruptionsskandale und zahlreiche Fälle von zum Teil drastischem Amtsmißbrauch berichtet: Erpressungen, Mißhandlungen von schwarzen Studenten oder Überfälle auf Roma. Eine Diskussion über die Gefahren einer zu starken Polizei in einer noch jungen Demokratie findet unter PolitikerInnen jedoch nicht statt.
György Suha, Sprecher der Landespolizeikommandantur betont, das größte Problem der Polizei nach dem Abtritt der Kommunisten sei ihre Verunsicherung gewesen. „Die Rechtslage war unklar. Die Polizei wußte nicht, was sie auf der Straße machen, inwieweit sie gegen Straftäter vorgehen sollte. Sie suchte ihren Weg. Und jetzt haben wir eine starke, entschieden auftretende Polizei – und die wollen wir auch.“ Die Frage nach einem Konzept zur demokratischen Umgestaltung der Polizei beantwortet Suha mit der Feststellung, es sei schlicht nicht möglich gewesen, Tausende von Polizisten auszuwechseln.
Nach dem Amtsantritt der Regierung unter József Antall im Mai 1990 wurde ein ziviler Jurist als Landespolizeichef eingesetzt. Er setzte die oberste Führungsschicht der Polizei ab. (Das waren rund 40 Personen.) Die Geheimdiensteinheit wurde von der übrigen Polizei abgetrennt und einem eigens geschaffenen Ministerium ohne Geschäftsbereich zugeordnet. Eine andere Spezialeinheit, das „Revolutionäre Polizeiregiment“, das früher unter anderem gegen Dissidenten vorging, wurde schlicht in „Polizeiregiment“ umbenannt und erfüllt heute eine ähnliche Funktion wie die deutschen Sondereinsatzkommandos (SEK). Ein explizites Konzept zur Demokratisierung der Polizei hat es nie gegeben. Suha bezeichnet den Umgestaltungsprozeß schlicht als „erfolgreiche Depolitisierung“.
Heute arbeiten bei der ungarischen Polizei rund 34.000 Angestellte, davon 27.000 Polizisten. Allein im vergangenen Jahr wurden 3.000 neu eingestellt. Bei einer Bevölkerungszahl von 10,4 Millionen kommt somit ein Polizist auf 385 EinwohnerInnen. Die Landespolizeikommandantur, die sich gern auf den westlichen Durchschnitt von 1:250 beruft, möchte im kommenden Jahr 4.000 weitere „Ordnungswächter“ rekrutieren.
Debattiert wird derzeit im Parlament der Entwurf für ein neues Polizeigesetz. Darin enthalten sind Bestimmungen, die der geheimen Informationsbeschaffung durch die Polizei Tür und Tor öffnen. So soll in Zukunft bei Abhörung oder Postkontrolle nur noch eine staatsanwaltliche anstatt einer richterlichen Genehmigung erforderlich sein, wobei die Regierung die Staatsanwaltschaft unter die Kontrolle des Justizministeriums stellen will.
Darüber hinaus heißt es in dem Entwurf, daß „im Interesse der Aufklärung von beabsichtigten Straftaten, die mit zwei oder mehr Jahren Freiheitsentzug bestraft werden“, eine Pflicht zur Informationsweitergabe seitens Banken, Finanzämtern und der Telefongesellschaft über die betroffene Person besteht. Begründung von Innenminister Boross: „Eine gewisse Beschränkung individueller Rechte bei der Verbrechensbekämpfung ist notwendig.“
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