Auszeit im Statt-Haus

■ Am Billbrookdeich soll im September eine Unterkunft für Bahnhofskinder eröffnet werden     von Paula Roosen

Jugendliche, die predigende Eltern so satt haben wie säuselnde Sozialarbeiter, stürzen mitunter ab bis zur Endstation. Etwa 200 von ihnen, zumeist Jungen, haben den Hauptbahnhof zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht. Was sie dort lernen, trainiert das Überleben im Gefüge von Gleichaltrigen, Dealern und Freiern. Gelegentlich tauchen sie als „Crash-Kids“ in den Schnellschuß-Blättern auf. Die ärgsten werden von der Jugendbehörde mit einem Erzieher auf Reisen geschickt. Vor einigen Monaten wurde am Hauptbahnhof eine Anlaufstelle für sie eröffnet. Jetzt soll das „Statt-Haus“ folgen – eine Unterkunft für die Kids vom Bahnhof.

Das Statt-Haus soll im September seine Pforten öffnen. Der Träger des Projekts ist das Rauhe Haus. Gedacht ist an acht Plätze für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Die Hälfte ist für Bahnhofskinder, der Rest für Kinder aus den Stadtteilen Horn, Hamm und Billstedt vorgesehen. Projektkoordinator Reimund Menzel bezeichnet seine fünf Mitarbeiter als „Hausmeister“ oder „Concierge“. Das Konzept sieht vor, daß die Jungen in erster Linie gut versorgt, aber nicht (über-)behütet werden sollen. Ihre langjährigen Betreuer sollen sie von außen mitbringen. Mit Glück können sie sich dadurch von dem Druck befreien, daß sich alle paar Monate ein neuer professioneller Helfer in ihr Leben einmischt.

Was die Jungen brauchen, ist laut Menzel „eine Auszeit im szenefreien Raum“. 70 Prozent der Kinder, die in die Anlaufstelle kommen, haben bereits Maßnahmen der staatlichen Jugendhilfe durchlaufen. Sie haben x-mal ihren Lebenslauf rekapitulieren und ein Arbeitsziel abstecken müssen, sei es ein Schulabschluß oder die vermeintliche Drogenfreiheit. Die Narben aus ihrer persönlichen Geschichte sind geblieben. Viele haben zuletzt in einer Wohngruppe gelebt, sind getürmt oder wurden wegen Drogenkonsums aus der Jugend-WG ausgeschlossen. Reimund Menzel: „Erst wollten wir ihnen jeweils einen Wohnwagen hinstellen, damit der Kontakt zum betreuenden Pädagogen erhalten bleibt. Nun ist daraus ein Haus geworden.“

Die „Sozialpädagogische, milieunahe Erziehungshilfe“ (SME) im Schanzenviertel und die Pestalozzi-Stiftung in der Bernstorffstraße haben vergleichbare Projekte in Planung. Ein weiteres Übernachtungshaus soll unter „statt“licher Führung in Harburg entstehen.

Im Statt-Haus, einer renovierungsbedürftigen, alten Stadtvilla am Billbrookdeich, sollen die Bahnhofskinder sich für drei Monate niederlassen können. In der Zeit können sie ihre Papiere in Ordnung bringen oder einfach Luft holen. Aller Voraussicht nach werden die Jungen in der Unterkunft unter sich sein. Mädchen gehen in Phasen der Perspektivlosigkeit andere Wege. Nach der Erfahrung der Jugendhelfer des Rauhen Hauses tun sie sich oft zu zweit zusammen oder suchen - ungewollt schwanger - nach einer Familienidylle.