„Angst ist ein schlechter Ratgeber“

Gesichter der Großstadt: Seit zweieinhalb Jahren versucht der Schöneweider Kneipier Claus Bubolz, „dem Frust der Leute entgegenzuwirken“  ■ Von Ulrich Jonas

Eine Unruhestifter war der kleine, bärtige Mann mit dem überschäumenden Temperament schon immer: „Meine Stasi-Akte muß sehr dick gewesen sein“, mutmaßt Claus Bubolz schmunzelnd. Zu DDR-Zeiten stritt er in einer Blockpartei für Verwaltungsreformen, „bis sie mir das Wort entzogen“. Heute versucht er auf anderem Wege, „Politik zu machen“.

Das „Spezialcafé“ in der Schöneweider Brückenstraße sieht aus wie eine jener unzähligen Vorstadtkneipen: Die Einrichtung aus billigem Furnier, düster der Raum. Nur die Kunstwerke an den Wänden verraten das ungewöhnliche Projekt: „Ich will mit Kultur dem Frust der Leute etwas entgegensetzen“, sagt Bubolz. „Wer an Kunst spart, spart an sich selbst“, meint der 44jährige Mann mit den lebhaften Augen.

Vor zweieinhalb Jahren hat er die Räume für sein „Kommunikationszentrum im weitesten Sinne des Wortes“ angemietet. Seitdem veranstaltet Bubolz „eine spektakuläre Sache nach der anderen“ – der Stolz in seiner Stimme ist nicht zu überhören. So habe er kürzlich Birgit Breuel und Regine Hildebrandt für ein Streitgespräch gewinnen können. Mehr als hundert BesucherInnen seien dagewesen, bei freiem Eintritt natürlich: „Meine Gäste sind zu 60 Prozent Arbeitslose, darunter viele Jugendliche“, weiß der Kneipier um die prekäre soziale Situation vieler Menschen im Stadtteil.

„Die Breuel wollte erst nicht“, erzählt er mit lachender Stimme und verrät sein Erfolgsrezept: „Wenn die mich rausgeschmissen hat, bin ich einfach durch die Hintertür wieder reingekommen.“ Mit seiner Hartnäckigkeit hat er viel auf die Beine gestellt: Ehemals verbotene russische Plakatkunst hing in der „Galerie“ im Keller unter der Kneipe, „die haben mir Diplomaten zugespielt“. SchülerInnen aus Ostberlin, Westberlin und Brandenburg haben für ihn „künstlerisch umgesetzt, was sie drei Jahre nach dem Fall der Mauer über die deutsche Einheit denken“. Rechts- und linksradikale Jugendliche diskutierten unter dem Motto „Argumente statt Fäuste“ in seinen Räumen.

Wenn Bubolz über seine Zukunftspläne spricht, gestikuliert er wild mit seinen Armen, und seine heisere Stimme ist nahe daran, sich zu überschlagen. Unruhig läuft er dann durch seine Kneipe und vergißt in seiner Begeisterung schon mal, einem Gast das Wechselgeld zurückzugeben. „Ich bin dabei, ein paar absolute Oberknaller zu organisieren.“ Gregor Gysi und Heiner Geißler, „die beiden brillantesten Politiker des Bundestages“, sollen das nächste Streitgespräch bestreiten. „Das klappt, weil ich das will“, sagt Bubolz nicht das letzte Mal an diesem Abend.

Immer wieder kommt er auf seine Projekte zu sprechen – über sein Privatleben redet er nur widerwillig. Eine „Lebensgefährtin“ habe er seit zwanzig Jahren, „und in nochmal zwanzig Jahren heiraten wir“. Seine beiden Töchter seien „17 und 11 oder 12 Jahre alt“. Sie „treten bereits in die Fußstapfen ihres Vaters“, und man spürt: Nichts könnte ihn glücklicher machen: „Die kleine hat in ,Politische Bildung‘ eine Eins, und die große ist Landessprecherin in der Bundesschülerkonferenz.“

Bubolz bezeichnet sich als „Gastronom aus Berufung“: Zehn Jahre hat er als Kellner in einem Speisewagen der Reichsbahn gearbeitet, danach im „Städteexpreß- Restaurant“ in Lichtenberg. Damals arbeitete er Wechselschicht – eine Woche Arbeit, eine Woche frei – heute ist er „froh, wenn ich mal ein paar Stunden freimachen kann“. Zwölf bis vierzehn Stunden dauere sein Arbeitstag, „oft schlafe ich über der Kneipe, weil ich nicht mehr nach Hause komme“. Um eine Aushilfe einzustellen, fehle ihm das Geld. „Im Westteil der Stadt sitzt das Geld locker, hier nicht“, weiß Bubolz. Einen Umzug kann er sich nicht vorstellen: „Eine Kneipe ist wie ein Kind. Da steckt viel Liebe und Arbeit drin.“

Daß er sich mit seiner Arbeit nicht nur Freunde macht, erfährt der Kneipier immer wieder hautnah: Die Scheiben seines Cafés wurden ihm mehrfach eingeworfen – „von militanten Roten wie Braunen“ – Rechtsradikale haben ihm Morddrohungen zukommen lassen. Auch mit der Polizei liegt er „im Clinch“: „Angesoffene Rechte“ hatten kürzlich von seinen Gästen Geld gefordert und ihm angedroht: „Dich nageln wir an einen Baum.“ Die herbeigerufenen Polizeibeamten weigerten sich trotz mehrfacher Aufforderung, die Personalien der Rechtsextremen festzustellen. Eine Klage wegen „unterlassener Hilfeleistung“ läuft. Beeindrucken läßt sich der Kneipier von den Anfeindungen nicht: „Angst ist ein schlechter Ratgeber.“