: Der Geist von Halle
Nach zwei regenreichen Tagen führte das deutsche Davis-Cup-Team gegen die Tschechen mit 3:0 und erreichte das Halbfinale ■ Aus Halle/Westfalen Matti Lieske
Zuerst hatte Marc-Kevin Goellner nach dem ersten Davis-Cup- Match seines Lebens, das er gegen den Weltranglisten-Neunten Petr Korda in souveräner Manier gewann, noch standhaft behauptet, für ihn sei es nicht anders als bei einem „normalen Turnier“ gewesen, dann aber ging die Begeisterung plötzlich mit ihm durch, und das ganze locker-flockige Superlativ- Vokabular des hingebungsvollen Adepten der HipHop-Generation sprudelte aus ihm heraus. „Tierisch“ sei es gewesen, dieses „Zusammenschweißen“ im Team, „ein irres Gefühl“, wenn die Kollegen einen anfeuern, „unmenschlich gut“ auch das Publikum, aber vor allem der Rückhalt in der Mannschaft, der sei phantastisch. Der berühmte Geist des Davis-Cups hat auch sein neuestes Sternchen am Schlafittchen gepackt.
Davis-Cup, das ist im ansonsten streng individualisierten Tennissport der letzte Hort der Solidargemeinschaft, wo Freundschaften blühen, seien sie auch noch so brüchig, und wo der Mythos gepflegt wird, daß der einzelne nichts, das Kollektiv aber alles ist. Davis-Cup- Triumphe von Teams wie jenem argentinischen, in dem mit Guillermo Vilas und José-Luis Clerc zwei Spieler standen, die sich auf den Tod nicht leiden konnten, sind die absolute Ausnahme. Wenn heutzutage eine Mannschaft die häßlichste aller Sporttrophäen gewinnt, kursiert sofort die Mär von unverbrüchlicher Harmonie und verschworener Vertrautheit: die „vier Freunde von Göteborg“ (Becker, Steeb, Jelen, Kühnen), die „drei Musketiere“ (Leconte, Forget, Noah), die „Fab Four“ (Agassi, Sampras, Courier, McEnroe). Kein Zufall, daß das deutsche Team den Pokal zweimal holte, als Boris Becker mit Carl-Uwe Steeb und Eric Jelen relativ schwache, aber geschätzte Partner hatte, jedoch nicht mehr, seit sich zwei deutsche Akteure in den Top ten tummeln.
Der Geist von Halle soll das alles ändern. Becker hat sich abgeseilt, doch Michael Stich bewies, daß auch er der Rolle des Matchwinners gewachsen ist. Den Davis- Cup erlangt nicht nur, wer eine harmonische Mannschaft hat, genauso wichtig ist es, auf die Sekunde topfit zu sein und im entscheidenden Moment sein bestes Tennis zu spielen. Zwei Spieler, Becker und Agassi, waren darin in diesem Wettbewerb bisher unerreicht, auf dem Rasen von Halle gesellte sich Stich dem illustren Zirkel hinzu.
Im Match gegen Karel Novacek, das wegen des hartnäckigen Regens am ersten Tag weitgehend Samstag vormittag gespielt wurde, versuchten beide fünf Sätze lang, die alte Rasen-Devise „Das Spiel dauert vier Aufschläge“ in die Tat umzusetzen. Ziemlich frustrierend für den jeweiligen Rückschläger, der, wenn er mal den Hauch einer Break-Möglichkeit wittern durfte, meist ein knalliges As serviert bekam. „Auf Rasen hast du nur sehr wenige Chancen“, sagte Novacek, „die muß du nutzen.“ Genau das tat Michael Stich. Beim Stande von 5:5 im fünften Satz spielte er plötzlich phänomenales Tennis. Ein Vorhand-Passierball und ein perfider Lob – schon stand es 0:30. Ein guter Aufschlag brachte den Tschechen noch einmal heran, doch dann unterlief ihm ein Doppelfehler, und ein fulminanter Stich-Return machte den Aufschlagverlust perfekt. Der Rest war Formsache.
Ähnlich lief es im Doppel. Obwohl er praktisch schon den ganzen Tag Tennis gespielt hatte, war Stich, als sich der vierte Satz dem Ende zuneigte, an der Seite des nachlassenden Patrik Kühnen erneut voll da und jagte einen Return nach dem anderen ins tschechische Feld, so lange, bis sich auch Kühnen noch einmal gefordert fühlte und seinerseits mit einem Return für das entscheidende Break sorgte. Als dann der verwandelte Matchball das Doppel und gleichzeitig die gesamte Viertelfinal-Begegnung entschied, frohlockte nicht nur das deutsche Team, sondern auch Gerry Weber, der rührige Impresario des Tenniszentrums in Halle.
Er hegt große Pläne mit seiner Anlage und will künftig neben dem jährlichen ATP-Turnier weitere Davis-Cup-Partien sowie den Federation-Cup der Frauen nach Westfalen holen. Doch der Dauerregen des ersten Tages warf ein äußerst schlechtes Licht auf Webers Mini-Wimbledon und schien alle hochfliegenden Projekte den Bach hinunterzuschwemmen. Schließlich hatte der Himmel über Westfalen aber ein Einsehen mit Weber und dem geduldigen Publikum, das sich im übrigen als recht angenehm erwies. Die nationalistischen Exzesse sonstiger Davis-Cup-Begegnungen unterblieben, brav wurde auch den Punkten des Gegners Beifall gespendet, die Klatschorgien hielten sich in Grenzen, es gab nur sehr dünne „Deutschland“-Rufe, und das dumpf-primitive „Sieg“-Gebrüll vergangener Zeiten fehlte völlig.
Gegner im Halbfinale werden die Schweden sein, die in Den Haag ohne Stefan Edberg überraschend die Niederlande bezwangen. Edberg wird im September bestimmt wieder dabeisein, ob sich Boris Becker auf der anderen Seite daranmachen wird, den Geist von Halle schnellstens wieder auszutreiben, scheint hingegen fraglich. Sicher dürfte nur sein: Es wird nicht auf Rasen gespielt. Das Match findet in Schweden statt.
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