Die Stadt der Millionäre

Ein Unternehmen mit heiligem Namen verspricht Geld ohne Risiko / Ist „Caritas“ eine gigantische Waschanlage für die Millionen Ceaușescus?  ■ Aus Klausenburg Keno Verseck

Ion Stoinca ist eine Art moderner Alchemist. Nur enge Vertraute kennen die Biographie des Mannes, der Rumänien in die größte Hysterie seit dem Sturz des Diktators Ceaușescu vor dreieinhalb Jahren versetzt hat. Dabei ist der Unternehmer in aller Munde: Scheinbar ohne Risiko und Kommission macht Stoica aus einem Leu acht Lei oder aus einer Million acht Millionen. Seine Firma „Caritas“ hat ihren Sitz im nordwestrumänischen Klausenburg (Cluj Napoca), als GmbH eingetragen wurde das Unternehmen allerdings gut 300 Kilometer weiter südöstlich, im Firmenregister von Kronstadt (Braśov).

Hunderttausende von Menschen haben Ion Stoica bis heute ihr Geld anvertraut. Und Klausenburgs ultranationalistischer Bürgermeister Gheorghe Funar wird nicht müde, „Caritas“ als „seriöses Unternehmen“ anzupreisen. „Ich möchte aus Klausenburg“, sagt er, „die schönste und reichste Stadt Rumäniens machen, die Stadt der Millionäre.“

Was der etwa 50jährige Stoica offeriert, ist simpler als alle Kettenbriefspiele: Jeder rumänische Staatsbürger kann bei „Caritas“ eine beliebige Summe Geld einzahlen, erhält dafür eine Quittung im A-7-Format — und gegen deren Vorlage wird nach Ablauf von exakt drei Monaten die achtfache Summe ausgezahlt. Dieses Geld wiederum ist jederzeit neu einsetzbar. So verwandeln sich 100.000 Lei, nach dem Schwarzkurs rund 200 Mark und immerhin ein dreifaches Monatsgehalt, binnen neun Monaten in den für rumänische Verhältnisse sagenhaften Betrag von 51,2 Millionen Lei – 102.400 Mark. Darüber hinaus macht Stoica angeblich noch seinen eigenen Profit, von dem er sich und seine rund 600 Angestellten bezahlt.

Wer mit Ion Stoica über sein Geldvermehrungsinstitut ein Interview führen will, bekommt es mit seinen gummiknüppelbewehrten Wächtern zu tun. Sie schützen in Klausenburg die beiden „Caritas“-Zentralen vor den Tausenden von Menschen, die sich dort jeden Tag versammeln. Vor der Sporthalle in der „Unabhängigkeits-Straße“ wird der Berichterstatter, nachdem er sich als solcher zu erkennen gibt, erst beschimpft, dann hart am Arm gefaßt und vom Gelände geschubst.

In der Tudor-Vladimirescu-Straße, wo „Caritas“ sich bei der örtlichen Bergwerksgesellschaft eingemietet hat, prangt an einem heruntergekommenen Gebäude eine alte Losung. „Es lebe ...“ Der Rest der Buchstaben wurde abgerissen. Mit abwesendem Lächeln, wie hypnotisiert, verlassen alle Augenblicke Geldempfänger das Gebäude. Die meisten meinen, daß Stoica sein Geld durch Investitionen vermehre. Auf welche Weise Stoica aus einem Leu acht Lei macht, kann allerdings niemand recht erklären. Nur ein Ehepaar mit Kind gibt zu, daß das Spiel irgendwann zu Ende ist. Dann werden wohl die meisten Einzahler leer ausgehen. „Wir hoffen, daß wir nicht die letzten sind“, erklären sie lapidar. Ein „Caritas“-Aufseher, der das Gespräch bemerkt hat, droht dem deutschen Besucher: „Wenn Sie hier noch einmal auftauchen, passiert etwas!“

Das „Spiel“ funktioniert durch eine unendliche Anzahl von Mitspielern

Hinter „Caritas“ verbirgt sich ein „Spiel“, das auf Dauer nur durch eine unendlich wachsende Anzahl von Mitspielern aufrechterhalten werden kann. Daß das Unternehmen früher oder später pleite gehen muß, ist auch einigen derer bewußt, die ihr Geld bei Stoica einzahlen. Nicht zuletzt deshalb lief das „Unternehmen für gegenseitige Hilfe“, wie Besitzer Stoica „Caritas“ im Untertitel nennt, nach der Gründung am 25. Juni 1992 nur schwer an. Zu viele Firmen waren nach 1989 in Rumänien aus dem Boden geschossen, versprachen ihren Kunden das Blaue vom Himmel herunter, und mußten doch bald darauf Konkurs anmelden.

Doch dann verbreiteten sich innerhalb von wenigen Wochen schlagartig Gerüchte über die „Ehrlichkeit“ von Stoicas Firma. Obendrein lobte Klausenburgs Bürgermeister Funar, zugleich Chef der extremistischen, antiungarischen und antisemitischen „Partei der Nationalen Einheit Rumäniens“ (PUNR), „Caritas“ immer wieder als Wohltätigkeitsverein. Der halboffizielle Anstrich, den Funar „Caritas“ verlieh, und die Tatsache, daß kein einziger Fall bekannt wurde, in dem jemand sein Geld nicht erhalten hätte, wischten das Mißtrauen weg. Plötzlich versammelten sich jeden Tag Hunderte, später Tausende von Menschen vor den Zentralen des „Unternehmens für gegenseitige Hilfe“. Mittlerweile kursieren fantastische Geschichten über Leute, die die „Caritas“-Büros mit einigen Dutzend Millionen Lei verlassen hätten. Gleich einer Psychose wird in Klausenburg kaum über etwas anderes als „Caritas“ geredet. In den Kirchen zünden die Alten Kerzen für Stoica an und beten um sein Heil.

Nur wenige Klausenburger haben kein Geld eingezahlt. Bewohner aus den Dörfern und Städten des ganzen Distrikts sind zu „Caritas“ gekommen. Seit einigen Wochen strömen sie auch aus den entfernteren Landesteilen, aus der Moldau, aus Oltenien und der Dobrudscha herbei, campieren vor der Klausenburger Sporthalle. Kein Argument kann sie abhalten. Nicht, daß der Preis für ein Ei in Klausenburg von 35 Lei vor einigen Wochen derzeit auf 100 Lei geklettert ist, nicht, daß eine Wohnung, die in der rumänischen Hauptstadt Bukarest für 2 Millionen Lei zu haben wäre, in Klausenburg 6 Millionen kostet. Bereits jetzt liegt die Inflation hier beträchtlich höher als in allen anderen Städten und Landesteilen. Daß die Millionen in der „Stadt der Millionäre“ irgendwann nichts mehr wert sein werden, will niemand wahrhaben.

Stoicas dubiose Allianz mit dem extremistischen Klausenburger Bürgermeister, der durch spektakuläre Aktionen gegen die ungarische Minderheit der Stadt zu internationaler Berühmtheit gelangte, schreckt nicht einmal die Ungarn ab. Eine bekannte ungarische Literatur-Zeitschrift aus Klausenburg, die auf Funars Befehl hin so lange terrorisiert wurde, bis sie ihre Redaktionsräume im Bürgermeisteramt räumte, zahlte wenig später bei „Caritas“ ein — ebenso wie einige ungarische Minderheitenpolitiker, die sich sonst im Kampf gegen Funars Antiungarismus hervortun.

Funar seinerseits ließ Stoica zunächst in ein Gebäude einziehen, das sich im Besitz der Bürgermeisterei befindet. Aus Platzmangel siedelte „Caritas“ dann jedoch in die Sporthalle und das Verwaltungsgebäude der staatlichen Bergwerksgesellschaft über. Für die Räumlichkeiten zahlt das Unternehmen mit dem heiligen Namen die lächerliche Summe von 2,5 Millionen Lei monatlich – 5.000 Mark. Die täglichen Listen, auf denen die Namen derer stehen, die sich ihr Geld abholen können, erscheinen in der lokalen Tageszeitung Mesagerul transilvan (Der siebenbürgische Bote). Bis vor wenigen Monaten gehörte das Blatt noch der Bürgermeisterei, nun ist der „Mesagerul“ offiziell unabhängig und eindeutig auf der Linie der Funar-Partei. Zwei Seiten nationalistische Politik plus acht bis zwölf Seiten Namen, zwischen 5.000 und 10.000 täglich. Die Auflage des extremistischen Hetzblattes stieg innerhalb weniger Monate von 3.000 auf 30.000.

Die Bürgermeisterei ihrerseits profitiert mit „zwei Millionen Lei täglich“ (4.000 Mark) von „Caritas“, wie Funar zu Protokoll gibt. Verwendet werden sollen diese Summen unter anderem für Funars größenwahnsinnige Pläne, etwa den Bau eines 26 Meter hohen orthodoxen Kreuzes aus rostfreiem Stahl, das 100 Millionen Lei (200.000 Mark) kosten wird. Einweihungstermin: 14. September. Glatte 500 Millionen Lei (1 Million Mark) kostet eine 25 Meter hohe Statue des rumänischen Revolutionärs von 1848/49, Avram Iancu, deren Planung sich bereits in fortgeschrittenem Zustand befindet. Weitere Funar-Projekte: ein neuer Krankenhauskomplex namens „Heilige Maria“, ein Drei-Sterne- Hotel, ein Soldatenfriedhof, zehntausend neue Wohnungen und ein Altenheim. All das wird laut Funar „immense Summen“ verschlingen.

Offenbar wegen der „immensen Summen“ werden Leute, die bei „Caritas“ ihr Geld abholen, am Büroausgang nachdrücklich aufgefordert, eine „freiwillige Spende“ in bereitstehende Urnen zu zahlen. So jedenfalls lauten Berichte von Betroffenen. Die Summen, die hier einkassiert werden, gehen wiederum ans Bürgermeisteramt — für besagte Zwecke. In der ersten Juni-Woche wurden auf diese Weise laut einer Mitteilung des Mesagerul transilvan 7,23 Millionen Lei (14.460 Mark) gesammelt.

Irgendwann sind die Millionen nichts mehr wert

Liviu Man, Chefredakteur der Klausenburger Wochenzeitung Nu (Nein), vertritt die Hypothese, daß „Caritas“ nichts anderes als ein riesiges Geldwäscheinstitut sei. Hier würden entweder die Schweizer Milliarden des hingerichteten Diktators Ceaușescu oder Gelder aus mutmaßlichen geheimen Waffengeschäften der rumänischen Regierung mit Ex-Jugoslawien gewaschen. Als Indiz für seine Annahme führt Man unter anderem die Behauptung Stoicas an, daß im Monat Juli insgesamt rund eine Milliarde Lei täglich (zwei Millionen Mark) an insgesamt 300.000 Menschen ausgezahlt werden würden, im August hingegen der doppelte Betrag. Summen in dieser Größenordnung, so Man, könnten keinesfalls nur aus den Taschen der Bürger stammen. Außerdem sei es verdächtig, daß weder lokale und zentrale Behörden etwas gegen „Caritas“ unternähmen bzw. Untersuchungen anordneten. „Alle sind verwickelt, Funar, die Polizei, die Finanzbehörden, der Geheimdienst, die Regierung und Staatspräsident Iliescu.“

Péter Eckstein-Kovács, Stadtratsabgeordneter des Klausenburger Ungarnverbandes und einer der wenigen, die kein Geld eingezahlt haben, hält diese Hypothese eher für Phantasien. „Es sind die Unmengen von Geld, die hereinfließen und das Spiel eine Zeitlang laufen lassen. Die Mehrheit der Leute macht vom Gewinn jetzt noch nicht Gebrauch, sie reinvestiert ihn. Der große Sturz von Stoicas Unternehmen wird kommen, wenn die Leute anfangen massenhaft das Geld herauszuziehen.“ Weil dann Hunderttausende mit leeren Händen dastehen würden, fordert er ein Gesetz, das solche Unternehmen in Zukunft grundsätzlich verbietet.

Auffällig ist immerhin die Untätigkeit der Behörden. Die Polizei hält sich bedeckt und „beobachtet“ Stoicas Unternehmen „einstweilen aufmerksam“, wie es heißt. Zu spüren ist davon bislang nur der Polizeischutz, der den beiden „Caritas“-Zentralen gewährt wird. Die diensttuenden Polizisten haben selbstverständlich auch Geld bei Stoica eingesetzt, wie sie bereitwillig erklären. Ob jemals eine Untersuchung der staatlichen Finanzbehörden stattgefunden hat, darüber gibt es widersprüchliche Angaben. Der Chef der Klausenburger „Garda financiarå“ verweigert jegliche Auskünfte. Bürgermeister Funar behauptet jedoch, daß auf seine Anweisung eine Finanzuntersuchung initiiert wurde, die keinerlei Unregelmäßigkeiten bei „Caritas“ ergeben habe.

Stoica selbst verweigert gegenüber allen Medien grundsätzlich die Aussage — außer gegenüber dem Mesagerul transilvan, der seine Namenslisten und offiziellen Mitteilungen veröffentlicht. Er sei lediglich daran interessiert, erklärte er anläßlich des einjährigen Bestehens von „Caritas“, armen Menschen zu helfen. Das Geheimnis seiner Firma würden nur zwei Menschen auf der ganzen Welt kennen, er selbst jedoch keinen Profit daraus schlagen. „Reich wäre ich, wenn ich den Profit einkassieren würde, meine Bezahlung ist jedoch nur 50.000 Lei monatlich. Ich kann mich nicht als reichen Mann bezeichnen, bei mir werden sie kein Geld sehen, denn ich mag kein Geld.“