■ In Japan wurde ein neues Parlament gewählt
: Vorsichtiges Votum für den Wandel

Mit der Weisheit derjenigen, die eine Entscheidung erst dann treffen, wenn die Zeit dafür reif ist, haben die Japaner ihre endgültige Abstimmung über die politische Zukunft des Inselreichs noch einmal verschoben. Denn wer auch immer aus dem neuen Parteienwirrwarr im japanischen Parlament als Sieger hervorgeht, wird eine schwache Regierung führen. Deren erste Aufgabe liegt nach den Wahlaussagen aller Parteien in der Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes. Gelingt das, wie von neutralen Beobachtern vorausgesagt, innerhalb eines Jahres, dann würden kurz darauf schon wieder Neuwahlen ins Haus stehen. Dieser zweiten Wahlmöglichkeit waren sich die Japaner bei der gestrigen Wahl offenbar bewußt, und so stimmten sie für eine fast perfekte Balance zwischen den konservativen und den reformorientierten Kräften. Das gestrige Wahlergebnis wird den bislang allein regierenden Liberaldemokraten (LDP) als größter Partei womöglich die Fortführung der Regierungsgeschäfte erlauben; doch in den dringendsten Reformfragen, die das Wahlgesetz und die Parteifinanzierung betreffen, hat die Regierungspartei nunmehr eine klare Mehrheit im Parlament gegen sich.

Diese Zweideutigkeit im Wahlergebnis ist dennoch ein deutliches Signal für Veränderung. Gerade die hohen Erfolge der zwei neuen konservativen Parteien, deren Protagonisten sich allesamt aus dem Lager der Liberaldemokraten rekrutieren, zeigen, wie großzügig die japanischen Wähler die Verschwörer aus der Regierungspartei honoriert haben. Tatsächlich stellte die Spaltung der LDP, und nicht etwa ein Erstarken der Opposition, auf dem Weg zu den vorgezogenen Neuwahlen vom Sonntag das entscheidende Element des Wandels dar. 48 Parlamentarier waren noch vor den Wahlen aus der Partei ausgetreten und hatten damit die strukturelle Basis für vier Jahrzehnte LDP- Herrschaft zerstört. Fast alle Meuterer, die noch einmal kandidierten, wurden gestern wiedergewählt.

Ermutigend daran ist sicher nicht, daß der Sieg der neuen Reformer vornehmlich auf Kosten der japanischen Sozialdemokraten geht, deren Wahlschlappe mit dem Mehrheitsverlust der LDP und dem Zusammenbruch der politischen Nachkriegsordnung einhergeht. Wer schließlich soll jetzt noch für Japan eine neue soziale Politik formulieren? Ermutigend jedoch ist, daß der Niedergang der alten Volksparteien in Japan nicht wie in Deutschland und Italien vom Geschrei neuer Nationalisten übertönt wird. Alle neuen Elemente deuten bislang auf eine Öffnung hin zur liberalen Mitte, die wirtschaftspolitisch und außenpolitisch auch einer Öffnung zur Welt gleichkommt. Georg Blume, Tokio