Doppelter Rücktritt

In Pakistan ist nach dem Rücktritt von Präsident und Premier der Weg zu Neuwahlen frei  ■ Von Bernard Imhasly

Neu-Delhi (taz) – In Pakistan haben sich Staatspräsident Ghulam Ishaq Khan und Premierminister Nawaz Sharif geeinigt, die Staatskrise, in die sie das Land durch ihren Zweikampf gestürzt haben, durch einen gemeinsamen Rücktritt zu beenden. Das präzedenzlose Ereignis des gleichzeitigen Rückzugs der beiden wichtigsten Repräsentanten des Staates läßt die Regelung der Einzelheiten aber noch offen. In Islamabad rechnet man damit, daß der Präsident einen viermonatigen Urlaub nimmt, der den Rest seiner Amtszeit überbrückt. Im Dezember wird der Premierminister dann seine Demission einreichen und die Auflösung des Parlaments vorschlagen. Eine Übergangsregierung soll unter dem ehemaligen Bundesrichter Abdul Qadir Sheikh gebildet werden. Aufgabe der Verwaltungen in den vier Bundessstaaten wird es sein, Parlamentsneuwahlen innerhalb von neunzig Tagen vorzubereiten.

Mit dieser Lösung des gordischen Knotens hat die Armee einmal mehr ihre Autorität unter Beweis gestellt. Nachdem letzte Versuche einer religiösen Gruppierung, die beiden Kontrahenten zu einer Einigung zu bringen, erfolglos endeten, schaltete sich wieder der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Abdul Wahid, ein. Er brachte Khan und Sharif in einer Reihe von Dreiergesprächen dazu, einem gemeinsamen Rücktritt zuzustimmen.

Gleichzeitig bestellte er Oppositionsführerin Benazir Bhutto nach Islamabad und nahm ihr das Versprechen ab, einen von der gesamten Opposition geplanten „Marsch auf Islamabad“ abzusagen. Gerüchten zufolge soll Wahid gegenüber allen drei PolitikerInnen mit einer erneuten Machtübernahme durch die Armee gedroht haben. Sollte dies zutreffen, hätte die Armee zum ersten Mal die Drohung „einzugreifen“ benutzt, um eine verfassungskonforme und politische Lösung der Krise zu erzwingen, zu der die gewählten Politiker unfähig waren.

Das Verhalten der Armee ist um so bemerkenswerter, als im Zweikampf zwischen Präsident und Premier auch ihre Interessen berührt werden. Das Recht des Präsidenten, die Regierung abzusetzen, ist ein Relikt aus der Zeit der Militärdiktatur. Der Präsident wurde daher bisher als vorgeschobenes Machtinstrument der Militärs angesehen. Mit ihm wollten sie verhindern, daß die Parteien durch Ausnützung der sozialen, ethnischen und regionalen Gegensätze die zerbrechliche Einheit des Staates gefährden.

Das Experiment dieser „kontrollierten Demokratie“ hat sich aber als wenig erfolgreich erwiesen. Der Versuch des militärisch- bürokratischen Establishments, der populistischen Herausforderung von Benazir Bhutto und ihrer „Pakistan People's Party“ durch Unterstützung der „Muslim Liga“ unter Nawaz Sharif zu begegnen, hat nun die Einheit des Establishments selber gefährdet. Nawaz Sharif (bzw. die von ihm vertretenen städtischen Eliten) sieht seine Machtchancen in einem demokratischen Staatswesen eher gewährleistet als in der feudalistischen und autoritären Denkweise seiner ehemaligen Mentoren. Dies ist der Grund, warum er sich gegen seinen ehemaligen Ziehvater Ishaq Khan gewendet hat.

Gleichzeitig versuchte er aber noch, Neuwahlen möglichst lange aus dem Weg zu gehen. Denn diese wird Sharif – im Gegensatz zum siegreichen Wahlgang von 1990 – ohne die diskrete Hilfe von Verwaltung und Armee gewinnen müssen, und dies gegen eine Benazir Bhutto, welche trotz ihrer vielen Schwächen nach wie vor die populärste Politikerin des Landes ist.