Wie die Gen-Lobby manipuliert

Ein Gutachten im Auftrag des Bundestages beweist: Im Ausland wird gentechnische Forschung meist strenger reguliert als in Deutschland  ■ Von Marco Carini

Hamburg (taz) – Mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen malt die Lobby schwarz. Der „Standort Deutschland“ sei in „höchster Gefahr“ heißt es da. Gentechnische Forschung und Produktion werde bürokratisch gegängelt und von Gesetzen stranguliert. Ein Memorandum der Max-Planck-Gesellschaft warnte sogar vor einem massenhaften Exodus deutscher Wissenschaft ins Ausland. Denn in keinem anderen Staat der Welt würden den gentechnisch Forschenden so viele Steine in den Weg gelegt wie in Deutschland.

Dabei war das deutsche Gentechnik-Gesetz bereits ein Produkt der Chemischen Industrie, die es vor drei Jahren gegen alle Kritik von Umweltschützern in Bonn durchgepaukt hatte. Nun paßt es schon wieder nicht. Eine auf die Bedürfnisse der Gen-Lobby maßgeschneiderte Novelle wird zur Zeit in den Ausschüssen des Bundestages verhandelt. Noch in diesem Jahr soll sie verabschiedet werden.

Die Bundesrepublik ein Tal der Tränen, umgeben von lauter Schlaraffenländern der Gentechnik? Um das zu überprüfen, vergab das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages im vergangenen Dezember an das Frauenhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe den Auftrag, über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Genehmigungspraxis in den wichtigsten Konkurrenzländern ein Gutachten zu erstellen.

Die Karlsruher Sachverständigen untersuchten die Forschungsbedingungen in den USA und Japan, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien. Das eindeutige Ergebnis ihrer noch unveröffentlichten Untersuchung: Außer in Frankreich genießen die Gentechniker in keinem der betrachteten Länder die hierzulande viel beschworene „Deregulierung“ ihrer Geschäfte.

Besonders die USA werden in den Kampagnen der GentechLobby zum Paradebeispiel der unbegrenzten Forschungsfreiheit verklärt. Tatsächlich existiert dort kein Gentechnik-Gesetz, die staatliche Überwachung der gentechnischen Forschung und Produktion ist lückenhaft: Verbleibt etwa ein gentechnisches Produkt in dem Bundesstaat, in dem es hergestellt wurde, fällt es gänzlich durch die Regulierungsmaschen. Erst wenn es den Bundesstaat verläßt, greifen administrative Kontrollen.

Begrenzt ist die Freiheit jedoch aus anderen Gründen: Wenn Firmen und Forschungseinrichtungen gentechnisches Neuland betreten, bürden ihnen die zuständigen Behörden in aller Regel Forschungsprogramme zu den Auswirkungen ihres Vorhabens auf, deren Bewältigung meist mehrere Jahre braucht. Olav Hohmeyer, Leiter der Karlsruher Gutachter- Gruppe: „Die Antragsteller tragen in solchen Fällen wissenschaftliche Beweislasten, die ich für höher halte als in der Bundesrepublik“.

Gerade kleinere Unternehmen ziehen aus diesem Grund nicht selten ihre Anträge zurück.

Nur erprobte Verfahren kommen in den Genuß einer schnellen, unbürokratischen Genehmigungspraxis. Hohmeyer: „Die 25ste Kartoffelfreisetzung mit genau der gleichen genetischen Manipulation, die schon dreimal umfangreich untersucht wurde, wird dann in 14 Tagen bewilligt“.

Auch wenn eine einmal genehmigte Produktion gentechnisch veränderter Lebensmittel kaum noch einer staatlichen Regelung unterliegt, sind die Hersteller noch lange nicht alle Sorgen los. Über ihnen schwebt das Damoklesschwert eines nahezu unbeschränkten Haftungsrechtes. In der Bundesrepublik kann ein geschädigter kaum Schadensansprüche gegen den Hersteller eines gesundheitsgefährdeten, aber genehmigten Lebensmittels geltend machen, die Haftungssummen sind zudem gesetzlich begrenzt. Ganz anders in den USA: Löst ein hier gentechnisch produziertes Produkt Nebenwirkungen aus, sind Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe möglich, wobei jedes Unternehmen, das in irgendeiner Form an der Klonierung, Herstellung oder Vermarktung des Produktes beteiligt war, belangt werden kann. Hohmeyer: „Die US- amerikanischen Firmen, mit denen wir gesprochen haben, haben uns eindeutig erklärt, sie hätten lieber ein strikteres Genehmigungsverfahren, das auch die Akzeptanz ihrer Produkte stärkt, dafür aber eine Haftungsbeschränkung wie in Deutschland“.

Auch in Japan existiert zwar kein umfassendes Gentechnikgesetz, dafür gibt es aber strenge Restriktionen in Teilbereichen. Nur die vergleichsweise unproblematischen Bereiche der Gentechnik-Nutzung werden durch Richtlinien reguliert, ansonsten gilt – anders als in der BRD: Alles was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Der Landwirtschaftslobby gelang es bereits in den siebziger Jahren, die Herstellung neuartiger Lebensmittel grundsätzlich zu verbieten.

Hier, wie auch bei der Freisetzung genmanipulierter Lebewesen, ist ein Grundsatz-Verbot nur durch eine Ausnahmegenehmigung des zuständigen Ministers auszuhebeln – in aller Regel ein zeitraubendes, nicht immer erfolgversprechendes Verfahren. Deshalb ist es bisher nur einem einzigen Forschungsintitut gelungen, einen Freilandversuch mit geklonten Pflanzen genehmigen zu lassen. Die Freisetzung genmanipulierter Mikroorganismen ist in Japan auf absehbare Zeit nicht geplant.

In Holland und Großbritannien machten die Karlsruher GutachterInnen eine Regulierung der Gentechnik aus, die sich eng an die gültigen EG-Richtlinien anlehnt, und sich von der Situation in der BRD kaum unterscheidet. „In Holland gibt es ähnliche Genehmigungsverfahren wie bei uns, nur weinen die Industrie und die Forschungsverbände nicht ständig über die staatliche Gängelung“, faßt Olav Hohmeyer das Ergebnis der Untersuchung in den Niederlanden zusammen.

Allein die Franzosen versuchen nach Beobachtungen des Karlsruher Wissenschaftlers „die EG- Richtlinien in Teilbereichen zu unterlaufen“. So wird gegenwärtig in Frankreich darüber diskutiert, die Arbeit mit Organismen, die den Menschen nicht schädigen, durchaus aber andere Lebewesen zerstören können, in die Sicherheitsstufe 1 („absolut risikolos“) einzuordnen. Sie wären damit dem Zugriff der Genehmigungsbehörden weitgehend entzogen. Hohmeyers Bewertung: „Ein eklatanter Widerspruch zur Regulierungspraxis der EG. Wenn die Franzosen so weitermachen, werden sie sich relativ schnell eine Klage vor dem europäischen Gerichtshof einhandeln“.

Der Tenor des Karlsruher Gutachtens ist eindeutig: Die heutige Genehmigungspraxis der Bundesrepublik hat keinen entscheidenden Einfluß auf den Standort Bundesrepublik, die Klagen der Industrie und der Wissenschaftsverbände dienen nur dazu, politischen Druck aufzubauen. Ein Eigentor, wie Gutachter Hohmeyer findet: „Die deutsche Wirtschaft redet sich so ihren Standort kaputt“.