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■ BerlinalienStreit um Wilhelm, Otto und Willy

Deutscher geht's kaum: Nur eineinhalb Kilometer lang ist die ehemalige Wilhelmstraße in Berlin und sie führt vorbei an so symbolträchtigen Orten wie dem Brandenburger Tor, der Treuhandanstalt und dem Brachgelände, auf dem mit dem Gestapo- Hauptquartier einst die Terrorzentrale des „Dritten Reiches“ stand. Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Wilhelmstraße wie die Downing Street in London ein Synonym für die Regierung des Landes. Doch die vielen Amtsgebäude von Reichspräsident, Kanzler und Ministern lassen sich heute nur noch auf alten Fotos betrachten — sie fielen den Bombenangriffen zum Opfer. Nach dem Krieg behielt die Verkehrsachse nur in ihrem westlichen Kreuzberger Teil den alten Namen, im Ost-Berliner Bezirk Mitte heißt sie nach dem DDR- Ministerpräsidenten Otto Grotewohl.

In diesen Tagen erhalten die Bewohner der häßlichen Hochhäuser zwischen Otto-Grotewohl-Straße und dem noch immer kahlen Mauerstreifen Post vom Verkehrssenator: Der DDR-Ministerpräsident wird als Namenspatron wieder abgelöst vom preußischen Kronprinz Wilhelm, der 1713 als Friedrich Wilhelm I. den Thron bestiegen hatte.

Mit seinem Machtwort beendet der Senator eine fast dreijährige Auseinandersetzung. Als nach der Vereinigung ideologisch belastete Straßennamen ausgewechselt wurden, debattierte auch das Bezirksparlament in Mitte über die Otto-Grotewohl- Straße. Der CDU-Vorschlag, wonach der alte König wieder zu seinem Recht kommen sollte, fiel durch, und die von der Bürgerbewegung ersonnene „Telemannstraße“ machte das Rennen. Die unterlegene CDU-Fraktion klagte vor dem Verwaltungsgericht, während Spötter monierten, als frankophoner Besucher müsse man angesichts des Straßennamens unweigerlich an einen Straßenstrich denken.

Dann starb Willy Brandt. Die Sozialdemokraten im Bezirksparlament glaubten, sie könnten die zerstrittenen Fraktionen mit dem Kompromißvorschlag zu Ehren des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Regierenden Bürgermeisters einen — und es fand sich auch eine Mehrheit. Auf die Idee mit Willy waren aber auch schon zwei andere Berliner Bezirke gekommen. Und seiner von Bescheidenheit nicht eben geplagten Witwe, bei der Regierungschef Diepgen um Erlaubnis nachfragte, gefiel keiner der drei Vorschläge. Brigitte Seebacher- Brandt wartet auf eine repräsentative Straße im geplanten Regierungsviertel.

Zwei gültige Beschlüsse, ein anhängiges Verwaltungsgerichtsverfahren und immer noch der alte kommunistische Name — das paßte dem CDU-Verkehrssenator nicht. Er besann sich des Hauptstadtvertrags, welcher die Rechte der Bezirke gegenüber der Landesregierung einschränkt, und ordnete die Umbenennung an. Daß sein selbstherrlicher Beschluß einen Präzedenzfall darstellt, wie künftige Konflikte zwischen Senat und Innenstadtbezirken um den Hauptstadtausbau verlaufen, scheint ihn nicht zu stören.

Die DDR-Nostalgiker, die regelmäßig für die Erhaltung des Palastes der Republik demonstrieren, werden spätestens mit den Schildermonteuren in der Wilhelmstraße auftauchen und Flugblätter verteilen. Wie das Bildungsbürgertum im Westen sich in der Seele getroffen fühlt durch die Schließung des Schillertheaters, so leiden viele Ost-Berliner unter preußischen Namen. Streit um Straßennamen ist schließlich ein beliebtes Berliner Gesellschaftsspiel, und um wenig wird in der Hauptstadt so leidenschaftlich gestritten wie um Symbole. Nur die Treuhandanstalt hat sich aus dem Streit um den Straßennamen auf geschickte Weise verabschiedet. Um nicht den kommunistischen Ministerpräsidenten im Briefkopf tragen zu müssen, verlegte die Hausherrin die Adresse um's Eck an den Hintereingang in der Leipziger Straße. Hans Monath

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