Messen, damit nichts geschieht

Töpfers angebliche Sommersmogverordnung heute im Kabinett / Grenzwerte für krebserregende Substanzen gelten erst ab 1995 / Kein Rechtsanspruch auf Verkehrseinschränkungen  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Luftverpestung durch Autos steht heute für die Bundesminister auf der Tagesordnung, sobald sie vorm Bundeskanzleramt aus ihren Limousinen geklettert sind. Umweltminister Klaus Töpfer legt die zweite Fassung eines Entwurfs vor, den er gerne als Sommersmogverordnung bezeichnet. An den hohen Ozonkonzentrationen bei Sonnenschein aber wird sich dadurch tatsächlich nichts ändern, prognostizieren nicht nur UmweltschützerInnen, sondern auch das Umweltbundesamt.

Gemessen werden sollen drei krebserregende Stoffe: Benzol, Dieselruß und Stickoxide. Ab Mitte 1995 gelten für Benzol 15 und für Dieselruß 14 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Grenzwerte. Drei Jahre später sollen sie dann auf 10 bzw. 8 Mikrogramm verschärft werden. „Wir haben in Kindernasenhöhe an vielen Straßen schon Werte um die 30 Mikrogramm für beide Stoffe gemessen“, sagt Karsten Smid von Greenpeace. Viele Gesundheitsexperten aber halten höchstens 2,5 bzw. 1,5 Mikrogramm für vertretbar, obwohl bei krebserregenden Stoffen Grenzwerte sowieso nur angeben können, wieviel Tote die Gesellschaft für vertretbar hält. Insbesondere der Automobillobby sei es zuzuschreiben, daß die Verordnung einen so späten Zeitpunkt und so hohe Werte vorschreiben werde, meint Smid.

ADAC-Umweltreferent Dieter Franke gibt sich denn auch ganz moderat: „Wir haben uns bei der Einführung von schadstoffarmen Autos zu viel Zeit gelassen und müssen jetzt Fahreinschränkungen hinnehmen.“ Aber man dürfe die Leute, die für teures Geld einen Katalysator eingebaut hätten, nicht verstören und müßte warten, bis die Autos „auf natürliche Weise“ von den Straßen verschwänden – sprich: beim Schrotthändler „oder Recycler“ landen.

Die Verordnung sieht vor, daß Länder und Kommunen die Werte zunächst einmal ein Jahr lang messen. Liegt in einer bestimmten Straße der Durchschnittswert über dem Grenzwert, sollen Maßnahmen geprüft werden. „Einen Rechtsanspruch auf Straßensperrungen oder Verkehrsbeschränkungen gibt es allerdings nicht“, erklärt Holger Brackemann, Pressesprecher des Umweltbundesamtes. Auch Ausnahmen schließe die Verordnung nicht aus. Schon verhandeln die Länderverkehrsminister hinter verschlossenen Türen darüber, daß einige Hauptverkehrsstraßen für Deutschland unerläßlich und damit für die Verordnung tabu sein sollen.

„Das wichtigste an der Verordnung ist: es wird überhaupt gemessen“, backt Brackemann denn auch kleine Brötchen. Er hofft, daß nach Bekanntwerden von hohen Belastungen an bestimmten Stellen ihrer Stadt die BewohnerInnen aktiv werden. Immerhin gebe es jetzt konkrete Werte, die die Aussichten von Klagen wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung und das Bundesemissionsschutzgesetz etwas aussichtsreicher machen dürften. In Bremen, Berlin und Düsseldorf versuchen BürgerInnen, den darin zugesicherten Gesundheitsschutz vor Lärm- und Abgasemissionen vor dem Kadi durchzusetzen.

Straßensperrungen oder Fahrbahnreduzierungen und Tempo 30, wie neuerdings in der Hamburger Stresemannstraße vorgeschrieben, können lokal durchaus zu Schadstoffminderungen führen. Am Sommersmog oder gar am Treibhauseffekt aber ändern solche Maßnahmen nichts. „Wir rechnen nicht damit, daß die Töpferverordnung zu niedrigeren Ozonwerten führt, zumal sie jahreszeitenunabhängig ist“, meint Brackemann. Zwar sind sowohl Benzol als auch Stickoxide Substanzen, die unter intensiver Sonneneinstrahlung sich zu Ozon verwandeln. Aber da es durch die Verordnung kaum zu einer Reduzierung des Verkehrs insgesamt kommen wird und Sommersmog ein nur großflächig zu bekämpfendes Phänomen ist, gibt es kaum Hoffnung für Kinder, AsthmatikerInnen und Herzkranke, die besonders unter Ozon leiden.

Die Vorläufersubstanzen von Ozon, wozu außer Stickoxiden und Benzol noch andere Kohlenwasserstoffe zählen, müßten um 70 bis 80 Prozent gesenkt werden, damit der Zielwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erreichbar wäre, hat das Umweltbundesamt errechnet. In Deutschland aber gibt es nach wie vor lediglich die Vorschrift, daß bei einem Wert von 180 Mikrogramm „besonders belastete Personen“ per Radio aufgefordert werden sollen, sich im Freien nicht zu sehr anzustrengen. Bei einem Wert von 240 Mikrogramm will die hessische Landesregierung neuerdings den AutofahrerInnen ein Tempolimit vorschreiben – ohne Sanktionen bei Überschreitungen allerdings. Und bei 360 Mikrogramm ist in Deutschland vorgeschrieben, daß auch die Normalbevölkerung gewarnt wird, nicht mehr zu joggen. Einschränkungen für die Luftverpester gibt es hingegen nach wie vor nicht. Und so werden die Minister auch 1995 und 1998 ohne Probleme jederzeit zu ihren Kabinettsrunden mit ihren Limousinen vorfahren können.