: Rechtsstaat linkte Szene
■ Klaus S. seit zehn Jahren Spitzel / Eltern von Grams und Newrzella für Dialog mit der RAF
Mainz (taz) – „V-Männer sind keine Klosterschüler.“ Statt der überfälligen Aufklärung verkündete der rheinland- pfälzische Innenminister Walter Zuber (SPD) auf einer Pressekonferenz zu den Hintergründen der „nachrichtendienstlichen Operation“ in Bad Kleinen gestern im Mainzer Landtag eher vage Weisheiten. Der V-Mann des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, der den Zugriff der „Bundesbehörden“ auf die mutmaßlichen RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams ermöglicht haben soll, hat nach Zubers Auskünften „seit etwa einem Jahrzehnt“ für die Verfassungsschützer in Rheinland-Pfalz die „autonome/antiimperialistische Szene“ im Rhein-Main-Gebiet bespitzelt. Und Zuber ist sich sicher: „Es gab bei der Aktion in Bad Kleinen keinen vierten Mann.“ Der Innenminister, ganz offensichtlich auf gründliche Reinwaschung seines Verfassungsschutzes und seines Ministerpräsidenten Rudolf Scharping bedacht, legte Wert auf die Feststellung, daß der V-Mann in Bad Kleinen nicht mehr von seinem Verfassungsschutz geführt worden sei, sondern dort „von den Bundesbehörden übernommen“ worden sein soll.
Mit einer Randbemerkung legte Zuber offen, daß sich der V-Mann nach der Schießerei in Bad Kleinen nicht – wie in der Szene angenommen – dem weiteren Zugriff der Behörden entzogen habe, sondern den Behörden weiter zur Verfügung stehe. Erst nach den Ereignissen in Bad Kleinen soll der V-Mann dem Verfassungsschutz gegenüber über den Anschlag von Weiterstadt gesprochen haben. Vor dem Anschlag auf den Gefängnisneubau in Südhessen, so Zuber mit Blick über den Rhein auf die hessische Kapitale Wiesbaden, habe der V-Mann den rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz nicht unterrichtet. Das werde er auch vor dem Untersuchungsausschuß Weiterstadt des hessischen Landtages im September bezeugen.
Während Zuber alle Fragen nach dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des V-Mannes und nach möglichen weiteren Kontakten zu mutmaßlichen RAF-Mitgliedern abblockte, legte er offen, daß sich „sein“ V-Mann insgesamt dreimal mit Birgit Hogefeld getroffen habe: im Februar 1992 in Paris, im April 1993 in Cochem an der Mosel – und dann in Bad Kleinen. Bei dem viertägigen konspirativen Treffen in Cochem sei dann auch Wolfgang Grams aufgetaucht. Der V-Mann, so Zuber, habe Birgit Hogefeld in Cochem „zweifelsfrei identifiziert“: im Schwimmbad an einer Narbe an der Hüfte. Wolfgang Grams sei dem V-Mann bereits bekannt gewesen. Das zweite Treffen zwischen Klaus S. und Birgit Hogefeld war angeblich in Bernkastel-Kues geplant und sollte vom Verfassungsschutz observiert werden. Durch einen Ortswechsel nach Cochem habe der Verfassungsschutz dann allerdings das Nachsehen gehabt, klagte Zuber.
Im SFB-TV-Magazin Kontraste haben sich am Montag abend zum ersten Mal sowohl die Eltern des in Bad Kleinen erschossenen GSG-9-Mannes Michael Newrzella als auch die Eltern von Wolfgang Grams öffentlich geäußert. „Ich würde bitten“, sagte Peter Newrzella, „daß die RAF auf die Gewalt verzichtet und das Gespräch sucht.“ Ruth und Werner Grams plädierten ebenfalls dafür, daß ein „gewaltfreier Weg“ gefunden werden müsse. Beide Elternpaare kritisierten die Ermittlungsbehörden scharf. Newrzellas Eltern haben bis heute keine offizielle Nachricht über die Todesumstände und die Todesursache ihres Sohnes bekommen und durften auch den Obduktionsbericht nicht einsehen. Ruth Grams beklagte sich: „Der Staat hat es nicht für nötig gehalten, uns zu benachrichtigen; kein Wort.“ kpk
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