: Stasi war in der Notaufnahme
■ Neun Monate Haft auf Bewährung für Gelegenheitsprostituierte, die Adressen der Freier an die Stasi weitergab / MfS half zuvor, als sie einen Araber heiraten wollte
Zu neun Monaten Gefängnis ist gestern eine 34jährige Berlinerin verurteilt worden. Sie soll der Stasi über sechs Jahre Informationen zugespielt haben, die meisten aus dem Westen der Stadt. Die Strafe für die Sekretärin Verena C. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit wurde gestern vom 1.Strafsenat des Kammergerichts zur Bewährung ausgesetzt.
Zum Jahresbeginn 1982 durfte die Angeklagte aus der DDR ausreisen; schon über den Aufenthalt im Notaufnahmelager Marienfelde soll sie das MfS informiert haben, dann über ihre spätere Tätigkeit bei einer Wohnungsbaugesellschaft. Zudem soll sie über die Personen Bericht erstattet haben, die sie als „Gelegenheitsprostituierte“ kennenlernte, so der Oberstaatsanwalt. Die Daten über die Freier wurden vom Gericht als kompromittierend und daher wertvoll für die Stasi eingeschätzt. Unter dem Decknamen Petra Müller hatte sie regelmäßigen Kontakt zu ihrem Führungsoffizier gehabt. – Bereits 1978 sei die Stasi an sie herangetreten, erzählte Verena C. dem vorsitzenden Richter Friedtjof Kubsch. Damals habe sie abgelehnt, „weil mir das alles irgendwie ulkig war“. Vieles habe sich für sie geändert, berichtete sie, als sie Ende 1979 ihren späteren Ehemann kennenlernte, einen „Araber aus dem nichtsozialistischen Ausland“. Viele hätten den Kontakt zu ihr fortan gemieden; beim VEB Drucktechnik sei sie auf einen überflüssigen Posten versetzt worden, bis sie kündigte. Als sie sich nach Möglichkeiten erkundigte, ihren Freund zu heiraten, sei ihr ein Ansprechpartner in Pankow genannt worden. Dieser sei der erste gewesen, der sich um die beiden gekümmert habe: „Er war der gute Onkel.“
Er habe ihr Ende 1980 einen Bekannten empfohlen, ihren späteren Führungsoffizier mit dem Decknamen Günter Grundig. Der junge Mann habe stets „ganz locker“ mit dem Paar geredet, „das war ein richtig kumpelhaftes Verhältnis“. Er habe die Sorgen ernst genommen und sich dafür eingesetzt, daß der Freund nach Ostberlin kommen konnte. „Mit einem Mal durfte mein Mann ohne Papiere mit einem Augenzwinkern einreisen“, erinnerte sich Verena C. an die ersehnte Hilfe. Grundig sei ihr „wie der rettende Engel vorgekommen“.
Sehr früh sei ihr aber auch klar gewesen, daß es sich um einen Mitarbeiter der Staatssicherheit handelte; über die Treffen hätten die beiden nie reden dürfen. Als man ihr die Ausreise in Aussicht gestellt habe, sei es ihr ganz normal vorgekommen, daß Grundig den Wunsch äußerte, über ihre weiteren Erlebnisse informiert zu werden. Zudem sei damit für sie die Möglichkeit verbunden gewesen, regelmäßig nach Ostberlin zurückzukehren: „Ich dachte, ich wär 'ne ganz Schlaue.“
„Weltbewegende Dinge“ habe sie aber nicht berichtet, als sie sich in den nächsten Jahren regelmäßig mit Grundig getroffen habe. „Ich erzählte ihm meine Eindrücke, völlig profane Dinge“, betonte sie vor Gericht. Berichte habe sie nie geschrieben, die Gespräche seien stets auf der anfänglichen „kumpelhaften Ebene“ geblieben. Allerdings gab Verena C. zu, Kopien von Briefen und internen Anweisungen der Wohnungsbaugesellschaft sowie verschiedener Formulare des Notaufnahmelagers weitergegeben zu haben.
Aus den Berichten des Führungsoffiziers geht zudem hervor, daß die Angeklagte Informationen über Personen gesammelt hat, etwa über deren Wohnumfeld. Dabei habe sie detaillierte Angaben über die jeweiligen Wohnhäuser gemacht. Verena C. gab zu, sich „umgesehen“ zu haben; sie habe aber nie gewußt, um wen es gehe, „ich habe auch nicht gefragt, wie der Zusammenhang ist“. Christian Arns
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