Beim Octopus im Garten

Unterwasserspektakel „The Abyss“ und „Atlantis“  ■ Von Mariam Niroumand

Hinter die Spiegel tauchen, die sichernden Geräte fahren lassen, schließlich schweben mit den Rochen -- das war Jean Cocteaus Terrain, bis die Amerikaner ihre Begegnungen der dritten Art im Submarinen suchten. Lustig, wie Cocteaus Schimären (vor allem die unterseeische Begegnung mit dem gewissen Es), der Psychoanalyse auf dem Fuß folgten, und wie sie für die Amerikaner später verkleidet, geschmückt werden müssen als Aliens. Nichts ist rauschhafter als unter Wasser und im Kino zu sein; und ist nicht wirklich, wie Renoir sagte, der Lauf des Flusses das Modell des Films?

Jedenfalls ist „The Abyss“ wieder zu sehen, mit 27 Minuten mehr als er 1989 noch hatte. Es handele sich aber nicht um einen „Director's Cut“ beeilen sich die Pressereferenten von Fox zu erklären; davon mag man offenbar nichts hören, solange noch Videos in der alten Fassung auf dem Markt sind (da könnt ja so mancher Käufer denken, der Regisseur habe nichts zu sagen gehabt beim ersten Schnitt). Nein, wir sehen eine „Long Version“, wie sie für Laser- Disc aufgenommen wurde. Für den Hausgebrauch heißt das höchste Präzision und Tiefenschärfe und ein unerhört feiner Sound, aber was soll's: „The Abyss“ müssen Sie im Kino ansehen, und zwar in einem mit breitester Leinwand (Berliner gehen unbedingt in den Filmpalast).

Im Gegensatz zu den Langfassungen von „Der mit dem Wolf tanzt“ oder „JFK“ – die in einem Fall zur Verlängerung der Agonie und im anderen Fall dazu führten, daß man sich sagte: „Der Film ist gut, aber ein bißchen zu lang.“ – geben die zusätzlichen 27 Minuten dem Film „The Abyss“ tatsächlich das Quäntchen Wahnsinn, das er brauchte, um für kurze Momente die Schallmauer zur anderen Seite zu durchbrechen.

Der Plot blieb: Die „Deepcore“ (Anspielung auf „Hardcore“ und „Deep Throat“?), eine bemannte Unterwasser-Ölbohrstation, wird von ihrer Firma, der Bethnic Petroleum, beauftragt, ein mit Nuklearraketen bestücktes U-Boot zu suchen, das ganz in der Nähe auf ein Korallenriff zutreibt. Die Ladung ist ungefähr 2000 Mal Hiroshima, versteht sich. Mysteriös und ohne Kontakt zur Nasa wurde die USS Montana plötzlich außer Gefecht gesetzt.

Ed Harris ist hier wieder, was er am besten kann: Der störrische, gutmütige Vorarbeiter Bud Brigman in Jeans und kariertem Hemd, der seine Männer (und eine schwarze Technikerin) aufs Liebste liebt und keine Lust hat, sie den Warlords von der Navy zu opfern, die alsbald mit vier Rambos sein Schiff besteigen. Komplizierend kommt hinzu, daß der Ingenieur des Schiffes seine Frau Lindsey ist, von der er sich gerade scheiden lassen will (Mary Elisabeth Mastrantonio als cold bitch mit insgeheim weichem Keks). Es folgt der Abschied von der Erde, ein letztes Mal Tageslicht, ein letztes Mal die Mannschaft unter sich im Frieden, ein letztes Mal alles Roger.

Ein Sturm zieht auf, der Bohrturm stürzt ein, der Kontakt zur Erde reißt ab. Die Signallämpchen wußten es schon länger als die Menschen, auf den Bildschirmen bahnt es sich zuerst an: Die Anderen kommen. „Sind es unsere?“ fragt der Kapitän schon etwas mürbe angesichts der ulkigen Frequenzstörungen. „N-n-nein“, murmelt's vom Kontrollboard. Irgendwie schafft es der Film, in seiner ganzen Geschwätzigkeit, von der Kastrationsdrohung nach der Sache mit dem Ölturm eine Todesdrohung aufziehen zu lassen, daß es einen friert.

Wie Astronauten, an dünnen Nabelschnüren mit dem Mutterschiff oder untereinander verbunden, irrt die Mannschaft durch das Wrack der USS, wo uniformierte Leichen in grotesken Posen hinter vergebens bearbeiteten Steuerungspulten erstarrt sind. Unterdruckpsychosen setzen ein, Halluzinationen, Schüttelfrost: wehe, wehe wenn die Dämme brechen. Lindsey und Bud kommen nicht in der Katastrophe zusammen, sondern erst, nachdem beide einmal gestorben sind; im rigor mortis sind sie eins, zombiesk.

Schillernd schön hat Regisseur Cameron im Gegensatz zu der schwarzen Kälte, in die er uns ständig fallen läßt, die Begegnung mit den Anderen inszeniert. Sie sind aus Licht oder hellem Wasser und haben keine Worte. Bud kann erst zu ihnen, als auch er im Vorsprachlichen angekommen ist: Siebenhundert Meter ist er in die Tiefe gefallen, angeleitet nur von der Stimme der Frau Lindsey, mit dem Kopf in sauerstoffhaltigem Wasser (dem Fruchtwasser wohl nicht unähnlich). Und als er schon nur noch dgdgdgdgdgdgjhjhjhjhjhjh in seine Digitalverbindung zum Mutterschiff eintippt, da retten ihn die Aliens, und zeigen ihm mit Fernsehbildern, wie es auf der Erde aussieht und was gleich geschehen wird...

Als mit den Bohrtürmen das ökonomische Kalkül weggebrochen, mit den Nuklearsprengköpfen die Aggression gebannt und mit der Aufgabe des Widerstands zwischen den Liebenden die Liebe ausgebrochen ist, da herrscht Glück unter Wasser. Ein Opernstoff, denkt man; ein bißchen „Orpheus und Eurydike“, ein bißchen „Zauberflöte“ und natürlich „Rheingold“.

„Atlantis“ hingegen hat, wie der Name schon andeutet, auf allen modernen Schnickschnack verzichtet und spielt vollends im Reich der Fische, indem es allerdings erheblich menschelt. „Hate“, „Love“, „Soul“ oder „War“ heißen die Kapitel, die mit jeweils entsprechender Musik unterlegt sind. Schwertfische machen die Primaballerinen, Tintenfische die Clowns, Krebse die gemütlichen Dicken und die Haie sind ganz sie selbst (offenbar allerdings heftig vom Kamerateam provoziert). Nachgerade peinlich ist der Versuch, aus völlig profanen Aktionen der Fischli tapetenreife, erhebende Momente oder kleine erzählerische Episoden zu machen, die beweisen sollen, daß das ewig Menschliche sich auch im Fisch durchsetzt, obwohl andererseits die Fische die besseren Menschen sind. Ein Greenpeace-Stand ist nicht weit, wo der Film gezeigt wird.

Was für die Meer-Echsen eine rein funktionale Sozietät ist, erscheint in „Atlantis“ als Ballett um die Galapagos-Inseln; die kleinen Barsche, die im Schatten der großen Hechte schwimmen, werden prompt zu Mitläufern; die Futtersuche der Seelöwen ein Feldzug. Der einsame Rochen mimt den outcast, der genug hat von der Welt ( dazu hört man die Callas in „La Somnambula“). Das Meer ist die große Spenderin all diesen Reichtums, eine Leinwand sozusagen.

„The Abyss“, Buch und Regie: James Cameron. Kamera: Mikael Salomon. Mit: Ed Harris, Mary Elisabeth Mastrantonio, Kimberly Scott. USA, 1993, 167 Min.

„Atlantis“, Regie: Luc Besson, Kamera: Luc Besson und Christian Pétron; Frankreich/Italien 1991, 78 Min.