: AKW Mülheim-Kärlich bleibt vorerst kalt
■ Das Oberverwaltungsgericht Koblenz lehnt das Wiederanschalten des Meilers ab
Berlin (taz) — Der seit fast fünf Jahren währende Dornröschenschlaf des erdbebengefährdeten 1300-Megawatt-Reaktors Mülheim-Kärlich geht weiter. Gestern lehnte der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Koblenz den Antrag des Essener Stromriesen RWE ab, die umstrittene 1. Teilgenehmigung (neu) für „sofort vollziehbar“ zu erklären. Die OVG- Richter entschieden, daß vor einer möglichen Wiederinbetriebnahme des 1988 nach einem sensationellen Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin abgeschalteten Druckwasserreaktors im „Hauptsacheverfahren“ über die Klagen mehrerer Bürger und der Stadt Neuwied entschieden werden müsse. Insbesondere müsse „geprüft werden, ob die Erdbebengefahr im Neuwieder Becken und die Bedeutung des Eifelvulkanismus von der Genehmigungsbehörde ausreichend ermittelt und zutreffend bewertet worden“ seien. Die Erdbebengefährdung war im vergangenen Jahr erneut ins Zentrum der seit zwanzig Jahren andauernden juristischen Auseinandersetzung um das inzwischen technisch veraltete Kraftwerk geraten, als der heftigste Erdstoß seit über 200 Jahren am Niederrhein schwere Schäden auslöste. Der selbst auf einer „geologischen Bruchlinie“ im Rheintal errichtete Meiler steht nur 140 Kilometer südöstlich vom Epizentrum des damaligen Bebens an der deutsch-holländischen Grenze.
Seither ist unter Erdbebenforschern ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob das AKW Mülheim- Kärlich den Ruckler schadlos überstanden hätte, wenn der Herd des Bebens in der Nähe des Reaktorstandorts gelegen hätte. Das RWE bestreitet, daß das 92er-Beben eine Neubewertung der Erdbebensicherheit notwendig macht. In seinem Antrag auf Sofortvollzug führte der Konzern vor allem wirtschaftliche Gründe für eine baldige Wiederinbetriebnahme an. Außerdem habe die Öffentlichkeit ein Interesse daran, durch den Betrieb der Anlage die Emission des Treibhausgases Kohlendioxyd zu verringern. Dagegen hatte die rheinland-pfälzische Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Inbetriebnahme bestritten und den Sofortvollzug der 1. Teilgenehmigung (neu) Mitte Mai verweigert. Dieser Auffassung schloß sich das Gericht jetzt unter anderem mit dem Hinweis an, auf Grundlage der gegenwärtigen Genehmigung hätte das Kraftwerk „ohnehin allenfalls noch 120 Tage lang betrieben werden“ können. Für eine sichere Energieversorgung spiele das ganz offensichtlich keine Rolle, eine mögliche Verringerung des CO-2-Ausstoßes falle gegenüber der „Art und Schwere der möglichen Betriebsgefahren“ nicht ins Gewicht, kanzelte das Gericht den Konzern ab.
Das Hauptsacheverfahren vor dem OVG Koblenz wird voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr stattfinden. Das AKW bleibe „weiterhin auf unabsehbare Zeit stillgelegt“, freute sich gestern der Berliner Rechtsvertreter der Anliegergemeinde Neuwied, Reiner Geulen. Zwar sei „noch nicht explizit entschieden“, doch lege der OVG-Beschluß die Vermutung nahe, daß das Kraftwerk „überhaupt nicht mehr in Betrieb gehen“ könne. Während Ministerin Martini, die Grünen in Rheinland- Pfalz und Greenpeace den Richterspruch begrüßten, maulte das RWE in einer wortkargen Erklärung, seine Rechte seien in dem Beschluß „verkannt und einseitig gewichtet“ worden. Man prüfe jetzt „mögliche weitere rechtliche Schritte“. (AZ: 7 B 12225/93.0 VG) Gerd Rosenkranz
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