Gutachten: Kein Schuß aus Polizeiwaffe

■ Unabhängige Untersuchung zu Bad Kleinen verlangt

Bonn/Schwerin (dpa/AFP/taz) Ganz offenbar in demonstrativer Absicht will Bundeskanzler Kohl heute der umstrittenen Antiterroreinheit GSG 9 in Sankt Augustin bei Bonn einen Besuch abstatten. Anlaß ist der Einsatz der Grenzschutztruppe gegen die RAF in Bad Kleinen vor dreieinhalb Wochen. Kohl wolle mit seinem Besuch die Wichtigkeit der GSG 9 unterstreichen, sagte eine Regierungssprecherin gestern in Bonn. Noch vor Wochenfrist war von mehreren Politikern die Auflösung der GSG 9 gefordert worden.

Unterdessen ergab ein am Dienstag vorgestelltes Gutachten, daß Wolfgang Grams nicht durch einen Schuß aus einer der untersuchten Polizeiwaffen zu Tode gekommen ist. Dies sei das Teilergebnis eines Berichts des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich, sagte der mecklenburgische Justizminister Herbert Helmrich (CDU) in Schwerin. Helmrich erläuterte, nach dem Züricher Gutachten stimmt die Stanzmarke an Grams' rechter Schläfe nicht mit den untersuchten Polizeiwaffen überein. „In Form und Ausmaß“ gebe es aber Übereinstimmungen zwischen Stanzmarke und der Frontseite der Waffe von Grams. Damit kommen die Züricher zum selben Ergebnis wie das Rechtsmedizinische Institut in Münster. Die Gerichtsmedizin in Lübeck hatte Grams' Waffe und auch die untersuchten Polizeiwaffen als Tatwaffe ausgeschlossen.

Die Züricher Gutachter stellten ferner Blutspuren an der Waffe von Grams und an einem Projektilteil fest, das unmittelbar neben Grams' Kopf im Gleisschotter auf dem Bahnhof von Bad Kleinen gefunden worden war. Unverbrannte Pulverteile an der Wunde stammen nach Ansicht der Gutachter ebenfalls nicht von Polizeimunition. Dafür seien Ähnlichkeiten mit der von Grams verwendeten Munition festgestellt worden. Das endgültige Gutachten aus Zürich soll Anfang September vorliegen. Ein weiteres Teilergebnis erwarte er Mitte August, sagte Helmrich.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Burkhard Hirsch, hat seine Forderung untermauert, die Affäre Bad Kleinen müsse durch eine „von den Behörden unabhängige Persönlichkeit allgemeinen Ansehens“ untersucht werden. Der von ihm vorgeschlagene Ex-„Krisenmanager“ Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) erfülle diese Voraussetzungen, erklärte Hirsch am Mittwoch in Bonn. Für die Untersuchung der Vorgänge müsse ein „lückenloses Akteneinsichtsrecht und ein unbeschränktes Aussagerecht“ aller beteiligten Beamten gewährleistet sein.

Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Hans Gottfried Bernrath (SPD), forderte erneut die Zeugenvernehmung des V-Manns. Dieser müsse unter Wahrung seiner Anonymität und ohne Angabe seines Aufenthaltsorts von einem Richter angehört werden, sagte Bernrath. Die staatlichen Organe hätten „alle Möglichkeiten“, den V-Mann zu schützen.