In Geschichte denken

■ Die schweren Tage – Teil 1

10 Tage und Nächte im Sommer 1943, der „Feuersturm“, veränderten Hamburg völlig. 40.000 Menschen starben, die Innenstadt lag in Trümmern. Mit der siebenteiligen Serie „Die schweren Tage“ erinnern wir an diese Ereignisse . Und wir gehen den Spuren nach, die sie bis heute im Stadtbild hinterlassen haben.

Sonnabend, 24. Juli 1943

Der Juli 1943 ist der siebenundvierzigste Monat des Krieges. Für die Zehnjährigen ist das Erkennen feindlicher Flugzeugtypen ein ebenso ergiebiges Gesprächsthema wie für ihre Enkel fünfzig Jahre später das Klassifizieren von Dinosauriern. Die Titelbilder der Illustrierten zeigen heroische Profile ordensgeschmückter junger Männer, Stars, die in endloser Folge immer neue Rekorde im Abschießen von Flugzeugen, Panzern oder Versenken von Schiffen aufstellen. Wenn die Sirenen heulen, geht es eben „ab in den Keller“. „Bombenwetter“ und „Bombenstimmung“ bereichren den Wortschatz; was der Minister für Volksaufklärung und Propaganda unter „coventrieren“ versteht, bezeichnet man in England mit „to lubeck“. In ein paar Tagen wird es eine aktuellere Variante geben: „to hamburgize“.

Zwischen dem 24. Juli und dem 3. August 1943 wird der Hansestadt an der Elbe, wie es ein Luftkriegschronist Jahre später formulieren wird, „die volle Aufmerksamkeit des Bomberkommandos der Royal Air Force“ zuteil. Das Resultat in nüchternen Zahlen: 3.091 Flugzeugeinsätze – 10.000 Tonnen Bomben – 40.000 Tote. Es sind, so wird sie zwei Wochen später das „Hamburger Fremdenblatt“ nennen, „die schweren Tage“.

Fünfzig Jahre danach ist der Kalender wieder soweit gedreht, daß Daten und Wochentage zur Deckung kommen. Auch der 24. Juli 1943 ist ein Sonnabend. Einen Monat zuvor wurde der vierzehnte Transport mit 934 Hamburger Juden am Hannöverschen Bahnhof ohne Zwischenfälle abgewickelt. Im Februar, nach Stalingrad, hat Joseph Goebbels den Totalen Krieg ausgerufen. Tanzveranstaltungen sind seitdem verboten, das Bier ist knapp. Der Sommer ist trotzdem sehr schön und sonnig.

Am Mittag zeigt das Thermometer 27 Grad, wie schon seit zehn Tagen. Gegen elf Uhr gab es kurz „Luftwarnung“, aber „der Ami“ bog über der Nordsee nach Norwegen ab. Auf den Spazierwegen um die Alster schieben sich Zehntausende, darunter allerdings nur noch sehr wenige Männer zwischen 18 und 45. Zehn Millionen stehen für das Reich jetzt „unter Waffen“. An der „Ostfront“ weisen sie „fortgesetzte Durchbruchsversuche der Sowjets blutig ab“, wie der Wehrmachtsbericht vom Tage meldet, oder räumen „planmäßig“ Palermo auf Sizilien, das der Feind dann „zögernd“ besetzt. Auf der Rennbahn in Farmsen ziehen die Traber ihre Trainingsrunden für den „Preis von Deutschland“. Wer keinen Pferdeverstand besitzt, dem bleiben für den Sonntag immer noch die Kanumeisterschaften der Hitlerjugend.

Am späten Nachmittag ist der Andrang im kühlen Ratsweinkeller kaum noch zu bewältigen. Zum gleichen Zeitpunkt werden auf Dutzenden von Flugplätzen in Ostengland die Bombendepots geöffnet. Um 8.30 Uhr an diesem Morgen gab Luftmarschall Arthur Harris, jeder Pikanterie abhold, aber von alt-testamentarischem Vernichtungswillen beseelt, seinem Bomberkommando den Startbefehl zur Operation „Gomorrha“: „INTENTION: To destroy HAMBURG“, lautet Absatz 4 des Einsatzbefehls Nr. 173 – „ZIEL: HAMBURG zu zerstören“.

Sonnabend, 24. Juli 1993

Um 11.30 Uhr beginnt Hamburg heute mit einem Trompetenkonzert vom verstümmelten Turm der Nicolai-Kirche das zeitsynchrone Gedenken. Nicht weniger als 58 Veranstaltungen stehen den Anschauungswilligen offen, der offizielle Festakt des Senats allerdings „nur mit Einladung“. Ansonsten können sich die Hamburgerinnen und Hamburger den Zeugnissen des „Untergangs“ auf fast jede erdenkliche Art nähern: zu Fuß, auf dem „Geschichtsspaziergang“, mit Barkasse, Bus oder Fahrrad geht es „zu den Stätten der Bombenzerstörung“. Eine Besichtigung der Spuren des „Feuersturms“ per Rundflug verbietet womöglich gerade noch der gute Geschmack. Dafür moderiert Prof. Justus Frantz 125 InterpretInnen aus 30 Nationen durch Strawinskys „Feuervogel“.

Angelsächsisch-namensstiftender Bibelkunde in Sachen „Gomorrha“ antworten Hamburgs Christen mit offenbar zwanghaftem Reflex. Vom „Fegefeuer“ wird viel gepredigt werden, von „Pech und Schwefel“, die „vom Himmel fielen“. Ausstellungen, Lesungen, Requien – allein das Rissener Bibeltheater gibt fünfmal „Erinnern und Hoffen“ – ein allemal rekordverdächtiger Gedenkboom.

Die Opfer liegen in der Stille anonymer Massengräber auf dem Ohlsdorfer Friedhof, nach Stadtteilen „geordnet“. Wie ihre überlebenden Zeitgenossen sind auch die Gedenktage gealtert. 60 Jahre Bücherverbrennung, 55 Jahre Synagogenbrand, 50 Jahre „Feuersturm“, die Jahresringe drücken den Kern der Ereignisse immer weiter nach innen, nicht nur die Wunden, selbst ihre Narben im Stadtbild scheinen zun verwachsen. Erinnern ist immer mehr Sache der Nachgeborenen und dient ihnen zur Mahnung gegen Künftiges.

An der unspektakulären Gegenwart der Stadt die Ereignisse nachzuzeichnen, mag dagegen anspruchslos scheinen, aber es kann helfen, auch außerhalb des vom Kalender diktierten Erinnerns das zu tun, was die Historikerin Barbara Tuchmann gefordert hat: „in Geschichte zu denken“.

Fremdenblatt“ nennen, „die schweren Tage“.

Fünfzig Jahre danach is x'?ß

sie „fortgesetzte Durchbruchsversuche der Sowjets blutig ab“,

Am Montag Folge 2: „Zeit, die Party zu eröffnen“.