Staatenkunde in schwarz-gelb

■ Die Rehabilitation der bösen Wespen/Hornissen und Hummeln sind friedlich

Nicht nur leidenschaftliche Honigesser kennen die volkswirtschaftliche Bedeutung der emsigen Honigbienen. Auch der Gesetzgeber hat im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) extra vier Normen für die Tiere reserviert. In den Paragraphen 961 bis 964 ist genau festgelegt, wann ein Bienenschwarm herrenlos wird, wer die Bienen verfolgen darf, was bei der Vereinigung von Bienenschwärmen passiert und wie der Einzug in eine fremde Bienenwohnung rechtlich zu bewerten ist. Bienenrecht ist ein beliebtes abwegiges Prüfungsgebiet, mit dem angehende JuristInnen beim Staatsexamen gepiesackt werden. Im Sommer dagegen entwickeln sich vor allem die Schwestern der Honigbienen, die Wespen, unter bestimmten Umständen zu Quälgeistern.

Denn im Gegensatz zum Haustier Honigbiene ist die Wespe nach Meinung vieler Menschen nutzlos und gefährlich. Bienen liefern Honig, Bienen können ihren Artgenossen per Schwänzeltanz den Weg zu nächsten Wiese zeigen, Bienen wohnen anständig in einem ordentlichen Bienenstock, Bienen lassen sich von ihrem Imker streicheln. Wespen dagegen, so das Vorurteil, Wespen stechen.

Sechs Sorten Wespen gibt es in unseren Breiten, erläutert der Zoologe Henrich Klugkist, der beim Bremer Umweltsenator für „wilde Tiere“ zuständig ist. „In ganz Mitteleuropa fliegen etwa 400 Wespensorten, doch nur 12 Sorten von ihnen sind staatenbildend. Und von den hier vorkommenden Sorten werden nur zwei als lästig bezeichnet, weil sie den Frühstückstisch umsurren.“ Das sind die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe.

Nicht-staatenbildende Wespen leben als Singles, „solitär“, wie der Zoologe sagt. Wie bei anderen Tieren sind Männchen und Weibchen geschlechtsreif und es gibt nur wenige Eier. Bei den Wespenstaaten dagegen überlebt den Winter nur die Königin, die im Frühjahr ihre erste Brut alleine großziehen muß. Aus dieser Brut erwachsen die Arbeiterinnen, die der Königin bei der Larvenpflege der nächsten Generation helfen. Mitte August gehen die Wespen dann auf Hochzeitsflug. Ende September geschieht bei den Wespenvölkern, wozu es in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft nicht mehr gelangt hat: „Der Staat stirbt ab.“

Einen Wespensommer wie im letzten Jahr wird es 1993 nicht geben, meint Klugkist. Zwar hätten viele Königinnen den warmen Winter überlebt und viele Staaten gegründet, aber durch das kalte und feuchte Wetter werden die Staaten nicht groß. „Große Nester können schon mal 1000 Tiere beherbergen.“ Freihängende Nester an Bäumen oder in Schuppen zeugen nach Auskunft von Klugkist von der Friedfertigkeit der BewohnerInnen: „Das sind alles Wespenarten, die sich für den Menschen nicht interessieren. Die aggressiven Wespen bauen ihre Staaten versteckt im Boden oder auf Dachböden.“ Geschützt sind nach der Bundes- artenschutzverordnung nur die

Wespe, nach links

Die Deutsche Wespe

bedrohten Hornissen. Wer sich nahe genug rantraut, kann Hornissen „eindeutig von anderen Wespen unterscheiden“, meint der Zoologe. Sie sind größer und träger als Wespen und haben statt einem gelb-schwarzen Muster eine dunkelorange-braun- schwarze Zeichnung auf dem Körper. Hornissen und Wespen fliegen nur auf, um ihr Nest zu verteidigen — mit einigen Schritten kann man sich schnell in Sicherheit bringen. Wespen aus Erdlöchern dagegen sind aggressiv und „greifen gezielt an.“

Was also machen bei einem Wespennest im Garten? „Einen großen Bogen drumherum“, rät Henrich Klugkist. Wenn es nicht anders geht, sollten besorgte Bürger, die um die Gesundheit ihrer Kinder fürchten oder ihren Kuchen allein essen wollen, eine Schädlingsbekämpfungsfirma anrufen. 100 bis 150 Mark kostet die Vernichtung eines Staates, wenn der Wespen-Terminator mit dem Insektengift anrückt.

„Wespen sind keine Schädlinge, das ist ein überkommenes Denken“, meint Henrich Klugkist. „Ökologisch gesehen ist der Mensch der einzige Schädling in der Natur. Wespen sind wichtig, denn die Masse der Bestäubung unserer Obstgärten leisten nicht die Bienen, sondern Wespen.“ Außerdem fressen die Wespen andere Insekten, mit denen sie ihre Larven ernähren und beseitigen Aas.

Alles, was summt und brummt, kann auch stechen. Aber nur Deutsche und Gemeine Wespen und Honigbienen sind aggressiv. Bienen stechen nur in Notwehr — denn weil ihr Stachel Widerhaken hat und ihnen den Hinterleib aufreißt, sterben sie dabei. Wespen macht das Stechen nichts aus. „Hummeln sind das friedlichste, was es gibt. Die stechen nur zu, wenn man direkt drauftritt“, sagt der Bremer Umwelt-Zoologe. Auch die Horrorgeschichten über angreifende Hornissen seien „reine Märchen“.

Wenn es einen erwischt hat, sollte man bei Bienen schnell den Stachel entfernen, weil der sich von selbst tief in die Haut bohrt. Bei Wespen hängt die Giftladung, die so fies juckt, von der Füllung der Giftblase ab. Gefährlich werden können die Insektenstiche bei Allergikern oder bei einem Stich in Hals oder Mund. Laut Statistik sterben in Deutschland jedes Jahr zehn Menschen an einem allergischen Schock nach einem Insektenstich. Um die Konfrontation zu vermeiden, rät Klugkist zu friedlicher Koexistenz: „Schlagen und pusten ist genau das Falsche. Man sollte beim Frühstück auf der Terrasse ein bißchen Marmelade für die Wespen beiseite stellen, dann sind sie nicht hinter dem Kuchen her.“

Bernhard Pötter