Dem Pudel kommt der Fraß hoch

Das Eiszeit zeigt das Fernseh-Fundstück „On the Air“ von David Lynch  ■ Von Mariam Niroumand

Ist's Camp? Ist's Trash? Ist's trashy Camp oder campy Trash? Wir wissen es nicht, können aber die freudige Mitteilung machen, daß das Eiszeit-Kino in gewohnt maulwurfshafter Wühlarbeit die letzte Produktion aus der Lynch- Factory ausgegraben hat, nämlich die hierzulande praktisch unbekannte Fernsehserie „On the Air“, die nach dem Desaster mit „Twin Peaks – Fire walk with Me“ entstanden war.

In sieben etwa halbstündigen Episoden wird eine Fersehserie aus dem Jahre 1957 vorgestellt, deren Titel „On the Air“ plötzlich eine seltsame Doppeldeutigkeit erhält. Aus dem Zeitalter der Magnetbandaufzeichnungen fällt ein mitleidig-bewundernder Blick auf die Zeiten der Life-Sendungen, in denen jedes falsch gelegte Kabel sich garantiert um den Hals des weißen Pudels legt und ihn stranguliert, wo er doch gerade vor laufenden Kameras seine Schüssel leerschlabbern sollte. Gezeigt wird auch, wie solche Katastrophen von den seinerzeit noch urvertrauenden Zuschauern gläubig für bare Münze und reine Absicht genommen wurden. Als die Bildwiedergabe einmal um 45 Grad verdreht ist, stellt die ganze Nation ihre Fernseher auf die Seite oder legt sich in die Horizontale. „On the Air“ bedeutet den Akteuren, daß sie auf Sendung sind, und bedeutet bei Lynch eben gleichzeitig, daß man sich im freien Fall befindet.

Die Crew ist köstlich und ist offenbar der eher gutartigen Seite des Lynchschen Freak-Arsenals entsprungen. Da ist zunächst die üblich blonde Ambition, die wegen ihres kindlich-einfachen, stets an Mammi zuhaus denkenden Gemüts in der Besetzungsliste garantiert als „ditzy Blonde“ geführt wird. Der Regisseur, ein offenbar aus dem deutschsprachigen Raum stammender Exzentriker, vertauscht alle Vokale, so daß seine Anweisungen, die er in ein umgekehrtes Megaphon bellt, von einer stets um Ausgleich bemühten Assistentin übersetzt werden müssen. Diese wiederum spricht ein höchst vorsichtiges, hölzern-formelles Amerikanisch, das sich sozusagen um die nukleare Drohung herumzuwinden scheint, das auf Eiern läuft, säuselt – nur denkbar im Kalten Krieg. Der blinde Techniker, der eitle Fatzke, der Schwarze mit dem Common sense, der fiese Produzent und seine Nazi-Schlampe, die Immigranten mit ihren absurden Perücken ergeben einen Fifties-Cocktail, wie er explosiver nicht vorstellbar ist. Die weltabgewandte Seite von Billy Wilder sozusagen.

Die Szene, die im ersten Teil gedreht werden soll, ist denkbar einfach: Ditzy Blonde steht im Wohnzimmer und bügelt, das Telefon läutet, ein Mann meldet sich mit „Sarah, hier ist dein Ehemann Frank, ich komme später nach Hause.“ Kurz darauf steigt der eitle Fatzke durchs Fenster, der heimliche Liebhaber, sie küssen sich, die Tür geht auf, der Ehemann platzt herein und schießt. Tod und Wehgeschrei.

Aber der blinde Techniker drückt die falschen Geräusche, statt des Klingelns hört man ein seltsames Knattern, der Liebhaber wird, weil er sich in einem Draht verhakt hat, an einem Seil bis zur Bewußtlosigkeit durch den Raum gegondelt, und der Ehemann meldet sich mit „Sarah“. Die Welt ist mal wieder „Wild at Heart.“

Lynchs Metier ist das der Mikrokosmen, deshalb liebt er die Soap-operas, deshalb spielen seine Filme nicht auf den Mean Streets von New York (obwohl er als Student bei Scorsese gelernt hat), und deshalb ist ihm auch das Fernsehen der Fünfziger, die bebilderte Radiosendung, näher als ein CNN- Programm. Was Woody Allen mit „Radio Days“ wollte, versucht Lynch in „On the Air“: Eine Kleinstgemeinde mit Millionen bilden, ein Spiel mit Typen, Gags und Slapsticks, in das Leute sich einloggen können wie früher in das Arsenal von Märchenfiguren.

Obwohl seine Protagonisten immer Lokalkolorit tragen, ist um sie gleichzeitig immer etwas Jenseitiges, Freak-haftes. In dem süßen Blondchen schlummern Alpträume, die „Hurry-up-Zwillinge“, die immer wieder, in einem Hemd steckend, durch das Bild laufen, könnten gerade auf dem Weg zum nächsten Kettensägenmassaker sein, und dem Pudel kommt der Fraß hoch, den er für den Werbespot verschlingen muß. Die Welt, so klein Lynch sie auch zu halten versucht, ist nicht zu kontrollieren, nicht einmal ein einziges Fernsehbild, gedreht in einem winzigen Studio von der Größe und Stabilität eines Schuhkartons. Während die Chorus-Girls eine Ballettnummer vorführen, latscht eine Horde bunter, befederter und mit Speeren und Tomahawks bestückter Indianer vor die Kamera. Die Girls und die Indians betrachten sich kurzfristig, mit absoluter Befremdnis, kein Wort fällt, und die Indianer sind gleich darauf wie vom Erdboden verschwunden.

Leider bekommt die Übertragung auf Laserdisc Kinofilmen offenbar besser als Fernsehbildern. „On the Air“ ist durchweg unscharf und farbstichig; aber irgendwie paßt selbst das zu dieser Srewball-Maschine mit umgekehrtem Düsenantrieb.

David Lynch: „On the Air“. Bis zum 25. Juli um 23.30 Uhr im Eiszeit, Zeughofstraße.