: Arbeit bei Naziliedern
■ Bündnis 90/Grüne fordert Kommission zur Untersuchung rechtsextremer Tendenzen in der Jugendstrafanstalt
„Übergriffe mit rechtsextremem Hintergrund gegenüber ausländischen Insassen“ der Jugendstrafanstalt Plötzensee (JSA) hat Ismail Hakki Kosan, ausländerpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, gestern heftig kritisiert. Er forderte eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe. Seiner Ansicht nach werden in Plötzensee „ausländerfeindliche Jugendliche geformt“. Bei der Arbeit sängen Gefangene „rechtsextreme Lieder“, zudem sei eine Kassette mit ausländerfeindlichen Texten im Umlauf, die in der JSA aufgenommen und produziert worden sei.
Wie die taz bereits gestern berichtete, hatte sich eine Gruppe von 15 türkischen und deutschen Häftlingen an die Öffentlichkeit gewandt und darauf aufmerksam gemacht, daß deutsche Häftlinge Ausländer diskriminierten und daß „sogar einige Beamte die gleiche politische Einstellung vertreten“. Die ausländischen Jugendlichen würden „durch rechtsextreme Bedienstete ständig provoziert“, schrieb die Gruppe. Der Leiter der JSA, Marius Fiedler, hatte diese Vorwürfe bestritten, wenngleich er bestätigte, daß sich einige der Gefangenen als rechtsextrem bezeichneten.
Bündnis-Sprecher Kosan legte gestern einen weiteren Brief eines Gefangenen der JSA Plötzensee vor: „Durch die Sprechfunkanlage“ werde die Musik, „Nazi-Musik vorwiegend“, im ganzen Haus gespielt, „damit man nervös wird“, heißt es darin. Beschwerden seien von der Anstaltsleitung nicht beantwortet worden, Post von seinem Anwalt werde geöffnet, obwohl dies verboten sei.
In dem Brief an die AL-Fraktion werden fünf JSA-Mitarbeiter namentlich als „die Meister der Anstalt“ benannt, die Häftlinge provozierten, sie gegeneinander aufhetzten und Anwaltspost öffneten. Er werde diesen Hinweisen nachgehen, versicherte Fiedler. Er sehe sie jedoch selbst zum ersten Mal, erklärte er während der Pressekonferenz, zu der Kosan eingeladen hatte. Dieser nahm den JSA- Leiter in Schutz: Er sei ein „engagierter Mann“, der davon sicher nichts gewußt habe. Er gehe davon aus, daß „die Briefe an ihn nicht weitergeleitet wurden“, sagte Kosan, warf Fiedler damit aber indirekt Führungsschwäche vor.
Wolf-Dieter Krebs, Leiter der Abteilung Justizvollzug in der Justizsenatsverwaltung, bestätigte, daß eine Kassette mit rechtsextremen Liedern während des Freizeitprogramms der JSA vor etwa anderthalb Jahren produziert worden sei. Die Gruppe sei von einem freien Mitarbeiter geleitet worden, dessen Honorarvertrag daraufhin gekündigt worden sei. Die Kassetten würden gesucht und eingezogen, Mitarbeiter würden darauf hingewiesen, daß am Anfang völlig unverfängliche Lieder gespielt würden. Fiedler betonte, daß die Honorarkraft die Texte mit „unendlicher pädagogischer Naivität“ zugelassen habe, da er sich „mit den politischen Inhalten nicht ausreichend auseinandergesetzt“ habe. „Das kann immer wieder passieren.“ Christian Arns
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