Die Weltmaschine oben in den Bergen

■ Ein Metallmonstrum lockt viele Touristen in ein oststeirisches Kaff

„Nach Kaag?!“ Der Bahnhofsvorsteher in Fladnitz arbeitet fünf Kilometer von dem Flecken entfernt und kennt ihn nicht. „Zur Weltmaschine?“ Sein Kollege zeigt vage in die Richtung: „Irgendwo droben in den Bergen.“ Gemeint sind die saftiggrünen Hügel der östlichen Steiermark. Wege und Stege führen nach einer Stunde doch noch zu dem Ort mit dem dunklen Namen. Die Häuser liegen verstreut, auch das kleine Gehöft der Gsellmanns ist so eine Enklave, hineingeschmiegt in eine Mulde. Daß die meisten Besucher motorisiert kommen – vielleicht würde es Franz Gsellmann gar nicht stören. Schließlich hat er seinem Lebenswerk auch Keilriemen und Kühlersterne einverleibt.

In einer Abstellkammer steht das Unikum, raumfüllend, übermannshoch, als hätte Bauer Gsellmann es für die Ewigkeit gebastelt. Was ist das? Ein freundliches Metallmonstrum. Eine labyrinthische Komposition in Rot, Blau und Grün. Ein Höllenspektakel, sobald Maria Gsellmann, die Schwiegertochter des Erbauers, ein paar versteckte Motörchen anknipst. Plötzlich faucht und klingelt, rasselt und pfeift die Weltmaschine. Blaulicht flackert, Schwungräder rotieren – ein steirisches Mysterium, das auf Knopfdruck verrückt spielt.

Daß er verrückt sei – im stillen haben sie das auch von seinem schmächtigen Schöpfer gedacht. Franz Gsellmann hörte 1958 auf einem Grazer Fetzenmarkt von der Brüsseler Weltausstellung und ruhte nicht, bis er mit einem Freund nach Belgien aufbrach. Im Rucksack hatte er das Nötigste für die Zugfahrt. Er zeichnete das Atomium ab, reiste, ohne zu übernachten, zurück. Den ersten Entwurf für sein Perpetuum mobile will er alsbald im Traum gesehen haben. 48 Jahre war dieser wunderliche Landwirt damals. 23 Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod am 2. Juli 1981, hat der zähe Eigenbrötler seine Vision verwirklicht.

Mit einem Schubkarren fuhr Franz Gsellmann über die Dörfer, sammelte Schrott und Trödel, den er geduldig aufpolierte und Stück für Stück zusammenfügte. Weniges kam neu hinzu, etwa eine japanische Mondrakete, mit der er Kinder spielen sah. Ein Grazer Spielzeugladen mußte ihm den vergriffenen Artikel für 1.000 Schilling in Fernost nachbestellen. Dreimal hat der Kauz seine entscheidende Inspiration, das Atomium, nachgebildet und das größte mit Hoola- Hoop-Reifen umschlungen.

Waren das kühne Collagen eines Avantgardisten vom Lande? Die Erklärung der Schwiegertochter ist schlichter: „Er wollte in seiner Jugend Elektriker werden. Aber damals mußten die Eltern für den Lehrlohn aufkommen – sie waren zu arm.“ Die Kompensation eines verhinderten Monteurs also? Der Tüftler selbst hat sich über seine herrlich nutzlose Erfindung ausgeschwiegen. Schulklassen, Belegschaften, Radler — auch Russen waren schon hier —, bleiben mit dieser wuchernden Ausgeburt an Technik merkwürdig allein.

So ist es jedenfalls an diesem Sonntag nachmittag. Kaum einer mag hinlangen. Fast ergriffen, ein wenig verloren stehen sie da. „Ja, a Wahnsinn!“ flüstert ein sportlicher Ausflügler. Sein praktisch veranlagter Nebenmann erkennt: „Da muß man ja ganz klein sein, um reinzukriechen, wenn was kaputtgeht.“ Zu 95 Prozent funktioniere die Maschinenschöpfung noch, erzählt Maria Gsellmann mit unverbrauchtem Stolz.

Während drinnen gestaunt wird, sitzt Mathilde Gsellmann hinter dem 300jährigen Bauernhaus und blinzelt ins milde Sonnenlicht. Die Witwe ist in ihrem 90. Jahr. Sie hat es überstanden, daß Franz Stall- und Feldarbeit vernachlässigte, „weil er lieber da drinnen war“, sagt sie ohne Groll in der weichen Stimme. Auch die Touristen – bis zu drei Busse kommen täglich – nimmt die rundliche Bäuerin gelassen. Sie verlangt kein Eintrittsgeld, bittet nur um eine Spende für den Erhalt der Weltmaschine. „Für mich ist sie jetzt fertig“, hat ihr der Sonderling noch anvertraut – rätselhaft bis zum Schluß.“ Franz Schiffer

Kaag liegt gut 20 Kilometer östlich von Graz. Anfahrt mit dem Zug: von Graz rund 40 Minuten bis Studenzen-Fladnitz, dann 50 Minuten zu Fuß bis Kaag. Besichtigungen ganzjährig möglich.